BVerfG: Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe

Die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 3. März und vom 16. März 2009 – 13 UF 23/09 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat der Beschwerdeführerin die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Zurückweisung ihres Prozesskostenhilfeantrages für die Beschwerdeinstanz in einem sorgerechtlichen Verfahren betreffend ihren am 10. Februar 2001 geborenen Sohn.

1. Mit Beschluss vom 13. Januar 2009 entzog das Amtsgericht M. – nach Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens – der Beschwerdeführerin Teile der elterlichen Sorge und übertrug diese – ohne vorherige Anhörung des Kindes – auf das Jugendamt des Kreises D.

Mit Beschluss vom 3. März 2009 wies das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zurück. Es bestünde keine Erfolgsaussicht. Zu Recht habe das Amtsgericht den Teilsorgerechtsentzug angeordnet, wie sich insbesondere aus dem Sachverständigengutachten ergebe.

Die hiergegen gerichtete Gegenvorstellung wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 16. März 2009 zurück. Die Beschwerdeführerin weise zwar zutreffend darauf hin, dass das amtsgerichtliche Verfahren unter einem wesentlichen Verfahrensmangel leide, weil das Kind nicht persönlich angehört worden sei. Der Senat beabsichtige, diesen Verfahrensmangel dadurch selbst zu beheben, dass die Anhörung des Kindes im Beschwerdeverfahren nachgeholt werde. Jedoch vermöge dieser Verfahrensfehler nach dem Beschwerdevorbringen und der Aktenlage auch unter Berücksichtigung des in FGG-Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu begründen. Dies folge aus dem Inhalt des Gutachtens vom 16. Dezember 2008. Darin komme die Sachverständige gerade nach der Exploration des Kindes zu dem nachvollziehbaren und gut begründeten Ergebnis, dass das Wohl des Kindes bei einem weiteren Verbleib im mütterlichen Haushalt erheblich gefährdet erscheine. Insoweit habe bereits der Senat den Inhalt des Gutachtens in seinem Beschluss vom 3. März 2009 eingehend gewürdigt.

2. Mit ihrer am 26. März 2009 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

3. Mit Beschluss vom 30. April 2009 wurde der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts H. bewilligt.

4. Den Beteiligten des Ausgangsverfahrens und der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG).

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

1. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verlangt keine völlige Gleichstellung; der Unbemittelte muss vielmehr nur dem Bemittelten gleich gestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf jedoch nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert wird und dieses an die Stelle des Hauptverfahrens tritt; denn das Prozesskostenhilfeverfahren soll den verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, FamRZ 1993, S. 664 f.).

b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Das Oberlandesgericht hat die Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags der Beschwerdeführerin mit dem Verweis auf das Ergebnis des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens begründet, obwohl es selbst das Unterlassen der persönlichen Anhörung des Kindes durch das Amtsgericht zu Recht als schweren Verfahrensfehler erachtet und deshalb in Aussicht gestellt hat, durch den Senat die Kindesanhörung vorzunehmen. Dabei ist aber nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht aufgrund der bisher unterlassenen Anhörung des Kindes zu einem anderen Ergebnis kommt, als es sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt. Das alleinige Abstellen auf das Sachverständigengutachten bei der Prüfung der Erfolgsaussicht der Beschwerde ist insofern eine Beurteilung des Verfahrensausgangs auf der Basis einer unzulänglichen Erkenntnislage, die der Gesamtwürdigung noch ausstehender Beweise vorgreift und in das summarische Verfahren vorverlagert. Dies trägt dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht Rechnung und ist verfassungsrechtlich zu beanstanden.

2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

4. Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.

BVerfG, Beschluss vom 30.06.2009
1 BvR 728/09

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