Aus Rechtsgründen ist es nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die berufsbedingten Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2 a der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII ermittelt werden. Hiernach können – sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind – pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 5,20 € abgesetzt werden.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juni 2012 durch die Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Celle vom 1. März 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist die Frage, in welcher Höhe berufsbedingte Fahrtkosten des Beteiligten bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen sind.
In der Hauptsache hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Es hat dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe bewilligt und ihm dabei die Zahlung monatlicher Raten von 95 € aufgegeben. Von den zu berücksichtigenden Einkünften hat es auch berufsbedingte Fahrtkosten für eine einfache Strecke von 24 km in Höhe von (24 x 5,20 € =) 125 €, in Abzug gebracht. Durch Abzug weiterer Positionen hat es ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 262 € ermittelt.
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht den Beschluss teilweise geändert, zusätzlich den pauschalen Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII für die vom Antragsteller allein betreuten Kinder in Höhe von 86,16 € berücksichtigt und so ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 175 € ermittelt. Im Hinblick darauf hat es die monatlich zu zahlenden Raten auf 60 € herabgesetzt.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde und verfolgt sein Beschwerdeziel, Fahrtkosten in Höhe von 316,80 € (22 Arbeitstage x 48 km à 0,30 €) zu berücksichtigen, weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG aufgrund der Zulassung des Oberlandesgerichts statthaft. Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (Senatsbeschluss vom 4. August 2004 – XII ZA 6/04 – FamRZ 2004, 1633, 1634; BGH Beschluss vom 21. November 2002 – V ZB 40/02 – FamRZ 2003, 671). Das ist hier indessen der Fall, da der Antragsteller geltend macht, die Voraussetzungen ratenfreier Verfahrenskostenhilfe lägen vor.
Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG sind in Ehesachen wie der vorliegenden die Vorschriften des FamFG über die Verfahrenskostenhilfe (§§ 76 bis 78 FamFG) nicht anzuwenden. Stattdessen gelten gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die allgemeinen Vorschriften der ZPO, mithin auch die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe, welche allerdings nach § 113 Abs. 5 Nr. 1 FamFG als Verfahrenskostenhilfe zu bezeichnen ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
a) Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, dass die Fahrtkosten für die täglichen Fahrten des Antragstellers zur Arbeit über 24 Entfernungskilometer entsprechend § 3 Abs. 6 Nr. 2 der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII zu berechnen seien und sich so ein Betrag von gerundet 125 € (24 x 5,20 €) ergebe.
b) Dies hält einer rechtlichen Überprüfung stand.
Allerdings ist die Frage umstritten, in welchem Umfang berufsbedingte Fahrtkosten das für die Verfahrenskostenhilfe einzusetzende Einkommen eines Beteiligten gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO iVm § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII vermindern, sofern die Inanspruchnahme kostengünstigerer öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
Teile der Rechtsprechung legen die unterhaltsrechtlichen Leitlinien zugrunde, nach denen überwiegend 0,30 € pro gefahrenem Kilometer abgezogen werden, andere Meinungen greifen auf § 3 Nr. 6 der Durchführungsverordnung (im Folgenden: DVO) zu § 82 SGB XII zurück, nach der 5,20 € im Monat für den Entfernungskilometer, begrenzt auf 40 Kilometer, abgezogen werden.
aa) Zur Begründung der Anwendung der unterhaltsrechtlichen Leitlinien wird ausgeführt, § 115 Abs. 1 ZPO nehme lediglich Bezug auf § 82 SGB XII. Auf § 96 SGB XII, der die Ermächtigung zum Erlass der Verordnung enthält, werde in der ZPO nicht verwiesen (OLG Dresden FamRZ 2011, 911, 912; OLG Jena FamRZ 2009, 1848, 1849; OLG Karlsruhe [5. Familiensenat] FamRZ 2009, 1424; Musielak/Fischer ZPO 9. Aufl. § 115 Rn. 11). Zudem habe der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, die Gerichte an das abweichend strukturierte Sozialhilferecht zu binden (vgl. BT-Drucks. 12/6963, S. 12). Die DVO sei insoweit nicht anwendbar (OLG Dresden FamRZ 2011, 911, 912; OLG Celle [12. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2010, 54, 55).
Die Verfahrenskostenhilfe sei zwar ein Teil der Sozialhilfe, unterscheide sich jedoch wesentlich von dieser. Bei der Gewährung von Sozialleistungen würden staatliche Leistungen häufig über einen längeren Zeitraum gezahlt. Dagegen ziele die Verfahrenskostenhilfe immer nur auf eine „punktuelle“ Lebenssituation ab, nämlich die Finanzierung eines Rechtsstreites. Dann aber fehle es bei der Bemessung der Freibeträge für die Prozesskostenhilfe viel eher an einer inneren Rechtfertigung für einschneidende Änderungen in der persönlichen Lebensführung wie beispielsweise durch die Forderung der längerfristigen Einschränkung der Rückkehr vom Arbeits- zum Wohnort oder den Wechsel des Wohnortes an den Arbeitsort (OLG Dresden FamRZ 2011, 911, 912; OLG Karlsruhe [5. Familiensenat] FamRZ 2009, 1424).
Eine Rechtfertigung für die Begrenzung auf 40 Kilometer sei ebenfalls nicht erkennbar.
Gegen die Anwendung der DVO spreche ferner, dass der dort vorgesehene Betrag von 5,20 € je Entfernungskilometer viel zu gering sei und nicht mehr den tatsächlichen Kosten entspreche (vgl. OLG Rostock FamRZ 2011, 1607 Rn. 4; OLG Hamm MDR 2010, 1344, 1345; OLG Jena FamRZ 2009, 1848, 1849; OLG Karlsruhe [5. Familiensenat] FamRZ 2009, 1424; OLG Nürnberg FamRZ 2008, 1961, 1962; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 115 Rn. 40). Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Betrag seit 1995 nicht mehr angepasst und auch im Zuge der Euro-Umstellung nur von 5,11 (= 10 DM) auf 5,20 € aufgerundet worden sei. Tatsächlich seien jedoch seit 1995 die Kosten für Kraftstoff und die sonstigen Kosten für den Betrieb eines Kraftfahrzeuges in einem wesentlich stärkeren Umfang angestiegen (OLG Celle [12. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2010, 54, 55; vgl. auch OLG Schleswig FamRZ 2011, 1159). Maßgeblich seien jedoch die tatsächlich notwendigen aktuellen Kosten (OLG Celle [12. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2010, 54, 55).
Schließlich ermögliche der Rückgriff auf die Leitlinien eine schnelle und einfache Berechnung im Massengeschäft der Prozesskostenhilfe, da alle Kosten für Anschaffung, Benzin, Steuer und Versicherungen in dieser Pauschale bereits enthalten seien (OLG Celle [12. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2010, 54, 55).
bb) Diese Argumente überzeugen jedoch nicht. Es ist vielmehr nicht zu beanstanden, wenn die Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2 a der DVO ermittelt werden. Hiernach können – sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind – pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte monatlich 5,20 € abgesetzt werden.
(1) Der Einkommensbegriff des § 115 ZPO knüpft an denjenigen des Sozialhilferechts an. Dies zeigt sich an den Verweisungen des § 115 Abs. 1 Nr. 1 a auf § 82 SGB XII und § 115 Abs. 1 Nr. 1 b und Nr. 2 auf die Anlage zu § 28 des SGB XII sowie des § 115 Abs. 3 auf § 90 SGB XII. Die Verfahrenskostenhilfe ist eine spezialgesetzlich geregelte Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege (zur Prozesskostenhilfe vgl. BVerfGE 35, 348 = NJW 1974, 229, 230; Senatsbeschluss vom 26. Januar 2005 – XII ZB 234/03 – FamRZ 2005, 605). Es ist daher nicht zu beanstanden, auch insoweit auf die DVO zurückzugreifen. Zwar ist die DVO nicht bindend, da – wie die Gegenmeinung zu Recht ausführt – § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO allein auf § 82 Abs. 2 SGB XII und nicht auch auf die auf der Grundlage von § 96 Abs. 1 SGB XII erlassene DVO verweist. Jedoch gibt die DVO auch schon nach der Gesetzesbegründung den Gerichten einen Anhaltspunkt für die Bemessung des Freibetrages (BT-Drucks. 12/6963, S. 12; vgl. auch Musielak/Fischer ZPO 9. Aufl. § 115 Rn. 11). Da sich die Bestimmungen der Verfahrenskostenhilfe, wie die Verweisungen in § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO zeigen, auch im Übrigen weitgehend an den Regelungen des SGB XII orientieren, ist es sachgerecht, zur Bestimmung des nach § 115 ZPO einzusetzenden Einkommens ebenso wie bei der Ermittlung des sozialhilferechtlichen Einkommens auf die die Abzugsbeträge nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII konkretisierende DVO zurückzugreifen (so auch OLG Dresden FamRZ 2011, 911, 912; OVG Lüneburg JurBüro 2011, 311, 312; OLG Karlsruhe [2. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2009, 1165, 1166; LAG Baden-Württemberg vom 2. September 2009 – 4 Ta 7/09 Rn. 17 – juris; OLG Bamberg FamRZ 2008, 1541, 1542; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 158, 159; OLG Bamberg FamRZ 2007, 1339; OLG Düsseldorf FamRZ 2007, 644 f. und OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 799).
Demgegenüber stellen die unterhaltsrechtlichen Leitlinien auf den Einkommensbegriff des BGB ab. Das Unterhaltsrecht beruht auf den persönlichen, familienrechtlichen Beziehungen von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltsverpflichteten. Mit Hilfe der unterhaltsrechtlichen Bestimmungen soll für eine ausgewogene Verteilung der Mittel gesorgt werden, um den Lebensunterhalt zwischen Verwandten bzw. Ehegatten sicherzustellen. Die Bedürftigkeit orientiert sich am Lebensstandard des Berechtigten und Verpflichteten. Das SGB XII wird hingegen durch den Grundsatz geprägt, dass lediglich eine Mindestsicherung garantiert werden soll. Familienrechtliche Grundsätze können daher nicht unbesehen auf den sozialrechtlichen Einkommensbegriff übertragen werden (OLG Karlsruhe [2. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2009, 1165, 1166).
(2) Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Pauschalbetrag der DVO unter dem Gesichtspunkt der effektiven Rechtsschutzgewähr als Orientierungsgröße nicht geeignet sei. Gesondert absetzbar sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO iVm § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII die Beiträge zur Haftpflichtversicherung und im Rahmen der Angemessenheit auch zu einer Kaskoversicherung. Die Auffassung, dass der Pauschbetrag auch die Kosten für die KFZ-Versicherungen umfasse, steht mit dem eindeutigen Wortlaut des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII in Widerspruch. Daneben können notwendige Anschaffungskosten im Rahmen der Angemessenheit nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO berücksichtigt werden (OLG Karlsruhe [2. Zivilsenat – Familiensenat] FamRZ 2009, 1165, 1167; LAG Baden-Württemberg vom 2. September 2009 – 4 Ta 7/09 – juris Rn. 22; MünchKommZPO/Motzer 3. Aufl. § 115 Rn. 28, 40).
Bei Anwendung der Sätze der unterhaltsrechtlichen Leitlinien dürften sich hingegen deutlich überhöhte Abzugsbeträge ergeben, die in vielen Fällen nicht der Realität entsprechen. Bei Anwendung von § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG, auf den viele Leitlinien verweisen, ist zu beachten, dass der dortige Satz von 0,30 € für jeden gefahrenen Kilometer nicht nur die reinen Betriebskosten, sondern auch die Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten sowie die Kosten der Abnutzung abdeckt, wie sich aus der gesetzlichen Regelung selbst ergibt.
Darüber hinaus sind die unterhaltsrechtlichen Leitlinien hinsichtlich der abzusetzenden Fahrtkosten nicht einheitlich, auch wenn die meisten auf § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG oder zumindest auf die Werte von 0,30 € pro km für Fahrtstrecken bis 30 km, für längere Strecken von 0,20 € pro km zurückgreifen (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 137).
(3) Mit der DVO steht damit ein brauchbarer Orientierungsmaßstab zur Verfügung. Die Frage, ob die in der DVO enthaltene Beschränkung auf 40 Entfernungskilometer auf die Einkommensermittlung im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe zu übertragen ist, ist angesichts der vom Antragsteller zurückgelegten Fahrtstrecke von 24 km zwischen Wohnort und Arbeitsplatz hier nicht zu entscheiden.
BGH, Beschluss vom 13.06.2012
XII ZB 658/11
AG Uelzen, Entscheidung vom 19.01.2010, 3b F 1261/09
OLG Celle, Entscheidung vom 01.03.2010, 10 WF 67/10