BGH: Beteiligung des Elternteils ohne Aufenthaltsbestimmungsrecht ist über Verbleib des Kindes zu befragen

Der Elternteil, dem u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden ist, der aber noch über Teilbereiche des Sorgerechts verfügt, ist in dem von den Pflegeeltern und dem Ergänzungspfleger geführten Verfahren auf Anordnung des Verbleibs des Kindes in der Pflegefamilie nach § 1632 Abs. 4 BGB grundsätzlich zu beteiligen.

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 5 wird der Beschluss des 26. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts München vom 21. Mai 2013 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 5 wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 10. April 2013 dahin abgeändert, dass die weitere Beteiligte zu 5 zu dem Verfahren hinzuzuziehen ist.

Gerichtsgebühren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 5 (im Folgenden: Mutter) erstrebt mit ihrer Rechtsbeschwerde ihre Beteiligung in einem – ihre minderjährige Tochter betreffenden – Kindschaftsverfahren.

Der Mutter, die für ihre im August 2006 geborene Tochter allein sorgeberechtigt war, wurde mit Beschluss vom 9. Dezember 2011 das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen, zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach § 27 ff. SGB VIII, zur Ausbildungs- und Berufswahl und zur Regelung der Passangelegenheiten entzogen. Zum Ergänzungspfleger wurde die Beteiligte zu 3 bestellt. Das Kind befindet sich bereits seit Januar 2011 bei Pflegeeltern. Der Ergänzungspfleger beabsichtigt, es aus der Pflegefamilie herauszunehmen und in einem Kinderheim unterzubringen, weil die Pflegeeltern mit der leiblichen Mutter konkurrierten und den Umgang des Kindes mit ihr ablehnten.

Die Pflegeeltern haben beim Amtsgericht beantragt, den Verbleib des Kindes bei ihnen anzuordnen. Den Antrag der Mutter, sie an diesem Verfahren zu beteiligen, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. April 2013 zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 7. Mai 2013 hat es den Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern bis auf weiteres angeordnet; die (übrigen) Beteiligten haben auf Rechtsmittel verzichtet. Das Oberlandesgericht hat die gegen den erstgenannten Beschluss gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Mutter mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1. Dass das Amtsgericht die Verbleibensanordnung bereits erlassen hat und die übrigen Beteiligten auf ein Rechtsmittel hiergegen verzichtet haben, lässt das Rechtsschutzbedürfnis der Mutter für die Rechtsbeschwerde nicht entfallen. Denn ohne eine erforderliche Beteiligung der Mutter wäre die Entscheidung des Amtsgerichts nicht in formelle Rechtskraft erwachsen. Durch eine unterbliebene Beteiligung würde die Entscheidung des Amtsgerichts in der Hauptsache zwar nicht nichtig, aber anfechtbar (vgl. Keidel/Zimmermann FamFG 17. Aufl. § 7 Rn. 20).

2. Die Mutter hätte entgegen der Auffassung der Instanzgerichte an dem Verfahren beteiligt werden müssen.

a) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass es lediglich um die Frage gehe, ob das Kind in der jetzigen Pflegefamilie verbleiben oder in eine andere Pflegestelle wechseln solle. Damit sei nur die Frage seines Aufenthalts verfahrensgegenständlich. Hiervon sei das Sorgerecht der Mutter nicht betroffen, weil ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht bereits entzogen worden sei und dieser Entzug von dem vorliegenden Verfahren unberührt bleibe. Eine Rückkehr in den mütterlichen Haushalt sei derzeit auch nach der Einschätzung der Mutter ausgeschlossen. Ein durch Abstammung begründetes Elternrecht werde bei der vorliegenden Fallkonstellation gerade nicht unmittelbar beeinträchtigt.

b) Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind als sogenannte Mussbeteiligte diejenigen hinzuzuziehen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird. Mit dem Kriterium der Unmittelbarkeit stellt die Regelung klar, dass eine Beteiligung nur dann zu erfolgen hat, wenn subjektive Rechte des Einzelnen betroffen sind. Gemeint ist hiermit eine direkte Auswirkung auf eigene materielle, nach öffentlichem oder privatem Recht geschützte Positionen. Es genügt nicht, dass lediglich ideelle, soziale oder wirtschaftliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden. Nicht ausreichend sind des Weiteren rein mittelbare Auswirkungen einer Entscheidung oder die lediglich tatsächlich „präjudizielle“ Wirkung auf andere, gleich gelagerte Fälle (BT-Drucks. 16/6308 S. 178).

bb) Die Voraussetzungen für eine Beteiligung sind hier erfüllt.

(1) Die Mutter ist nach wie vor Sorgerechtsinhaberin. Auch wenn ihr bereits erhebliche Teile des Sorgerechts entzogen worden sind, wird sie durch die Entscheidung über die Verbleibensanordnung unmittelbar in dem ihr verbliebenen Sorgerecht aus § 1626 Abs. 1 BGB und damit in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen. Dies unterscheidet den Fall von der vom Beschwerdegericht angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (FamRZ 2011, 1666). Denn dort war der Mutter die elterliche Sorge insgesamt entzogen worden. Die Frage, ob das Elternrecht auch eine Beteiligung erfordert, wenn dem betroffenen Elternteil das gesamte Sorgerecht entzogen worden ist, muss hier jedoch nicht entschieden werden.

Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass der Mutter das Recht zur Erziehung ihres Kindes sowie etwa die Vermögensorge verblieben sind. Dabei ist das in § 1631 Abs. 1 BGB geregelte Recht auf Erziehung ein wesentlicher Bestandteil der Personensorge (NK-BGB/Rakete-Dombek 3. Aufl. § 1626 Rn. 11).

Zwar hat das Verfahren über die Verbleibensanordnung – wie das Oberlandesgericht zu Recht ausführt – in erster Linie den Aufenthalt des Kindes zum Gegenstand, dessen Bestimmung der Mutter entzogen ist. Das ändert indes nichts daran, dass die Entscheidung darüber, wo das Kind verbleibt, die Mutter unmittelbar in der Ausübung des ihr verbliebenen Sorgerechts und damit in ihrem Elternrecht betrifft. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass es für die Erziehung des Kindes und die Möglichkeit der Mutter, hierauf Einfluss nehmen zu können, von erheblicher Bedeutung ist, ob es bei Pflegeltern oder etwa in einem Heim aufwächst. Auch wenn das Recht zur Bestimmung des Kindesaufenthalts eng mit der Wahrnehmung der Erziehung des Kindes verknüpft ist (vgl. MünchKommBGB/Huber 6. Aufl. § 1631 Rn. 15), führt die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht dazu, dass damit zugleich das Recht auf Erziehung entzogen wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, dass beide Teilbereiche in § 1631 Abs. 1 BGB selbständig nebeneinander stehen.

(2) Hinzu kommt, worauf die Rechtsbeschwerde ebenfalls zu Recht hinweist, dass es die – der Einleitung des vorliegenden Kindschaftsverfahrens vorangegangene – Intention des Ergänzungspflegers war, durch die Herausnahme des Kindes aus der konkreten Pflegestelle den Umgang zwischen diesem und seiner Mutter dauerhaft zu gewährleisten. Damit sollte ersichtlich dem – von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten – Umgangsrecht der Mutter Rechnung getragen werden. Hieraus folgt, dass die Entscheidung über den Verbleib des Kindes auch unmittelbare Auswirkungen auf das grundrechtlich geschützte Umgangsrecht der Mutter hat.

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist.

BGH, Beschluss vom 04.06.2014
XII ZB 353/13

OLG München, Entscheidung vom 21.05.2013, 26 WF 746/13
AG München, Entscheidung vom 10.04.2013, 512 F 3727/13

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