BGH: Kinderbetreuung vor der Ehe kein ehebedingter Nachteil

a) Die geraume Zeit vor Eheschließung aufgenommene Betreuung eines gemeinsamen Kindes und eine damit verbundene Aufgabe des Arbeitsplatzes begründen keinen ehebedingten Nachteil.

b) Ein ehebedingter Nachteil kann sich allerdings aus der Fortsetzung der Kinderbetreuung nach der Eheschließung ergeben, soweit ein Ehegatte mit Rücksicht auf die eheliche Rollenverteilung und die Kinderbetreuung während der Ehe auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verzichtet. Demgegenüber haben Erwerbsnachteile, die bei dem betreuenden Elternteil bereits infolge der Geburt des Kindes oder durch die in der Zeit vorehelicher Kinderbetreuung getroffenen beruflichen Dispositionen endgültig eingetreten sind und nicht mehr ausgeglichen werden können, weiterhin keine ehebedingten Ursachen (Fortführung des Senatsurteils vom 7. März 2012 – XII ZR 25/10FamRZ 2012, 776).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Antragsgegners wird das Urteil des 5. Zivilsenats Senat für Familiensachen in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. September 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil des Antragsgegners erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.

Die 1959 geborene Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) und der 1962 geborene Antragsgegner (im Folgenden: Ehemann) heirateten am 17. September 1993, nachdem sie zuvor in nichtehelicher Partnerschaft zusammengelebt hatten. Aus ihrer Verbindung entstammt ein am 28. Mai 1991 geborener und mittlerweile wirtschaftlich selbständig gewordener Sohn. Die Parteien trennten sich im Mai 2005. Ihre Ehe wurde auf einen am 10. Juni 2006 zugestellten Scheidungsantrag durch Urteil des Amtsgerichts vom 20. Januar 2009 geschieden, das hinsichtlich des Scheidungsausspruchs seit Mai 2009 rechtskräftig ist.

Die Ehefrau durchlief in der ehemaligen DDR eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Betriebs- und Verkehrsdienst bei der Deutschen Reichsbahn. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes im Jahre 1991 gab sie ihre bis dahin innegehabte Stellung als Bahnfacharbeiterin auf und übte anschließend bis zum Jahre 1995 keine Beschäftigung mehr aus. Zwischen 1995 und 1997 absolvierte die Ehefrau eine Umschulung zur Familienpflegerin; im Anschluss daran war sie in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen auch im pflegerischen Bereich erwerbstätig. Im Sommer 2007 wurde bei der Ehefrau eine Epilepsie diagnostiziert, die in der Folgezeit zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit führte. Seit Mai 2009 ist die Ehefrau im zeitlichen Umfang einer dreiviertel Stelle als Pflegehelferin tätig; das monatliche Nettoeinkommen aus ihrer teilschichtigen Tätigkeit beträgt rund 932 €.

Der Ehemann ist als Lehr-Lokomotivführer für eine private Eisenbahngesellschaft tätig; sein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen beträgt rund 1.598 €.

Im Scheidungsverbund hat das Amtsgericht den Ehemann dazu verurteilt, der Ehefrau einen unbefristeten monatlichen Nachscheidungsunterhalt von insgesamt 377,92 € (davon 75,48 € Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Ehemannes hat das Oberlandesgericht die Entscheidung abgeändert und den Ehemann unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen nur noch für verpflichtet gehalten, der Ehefrau seit Oktober 2010 einen monatlichen Gesamtunterhalt in Höhe von 232 € (davon 47 € Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen; eine Befristung des Unterhaltsanspruchs hat das Oberlandesgericht abgelehnt.

Hiergegen wendet sich die zugelassene Revision des Ehemannes, der weiterhin eine vollständige Zurückweisung des Unterhaltsbegehrens der Ehefrau, hilfsweise eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs erstrebt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis zum 31. August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 XII ZB 197/10 FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Ehefrau für die Zeit zwischen Mai 2009 und September 2010 kein Unterhalt mehr zustehe, weil der sich in diesem Zeitraum rechnerisch ergebende Unterhaltsanspruch durch die in der Vergangenheit bereits geleisteten Zahlungen des Ehemannes erloschen sei. Es ist ferner davon ausgegangen, dass sich die Ehefrau für den Zeitraum seit Oktober 2010 ein fiktives Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit als Pflegehelferin zurechnen lassen müsse, und es hat mit dieser Maßgabe für die Ehefrau nach Bereinigung der beiderseitigen Einkünfte um eine Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen, Gewerkschaftsbeiträge sowie um einen Erwerbstätigenbonus einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 232 € (185 € Elementarunterhalt zuzüglich 47 € Altersvorsorgeunterhalt) ermittelt.

Das Berufungsgericht vertritt die Ansicht, dass dieser Anspruch weder zeitlich zu begrenzen noch herabzusetzen sei. Insoweit hat das Oberlandesgericht seine Entscheidung, die auszugsweise in FamRZ 2011, 818 veröffentlicht ist, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Eine zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs komme nicht in Betracht. Die Ehefrau habe ehebedingte Nachteile erlitten. Sie habe mit Rücksicht auf die Ehe in ihrem beruflichen Fortkommen Einschränkungen hingenommen, die auch künftig nicht mehr ausgeglichen werden könnten. Sie habe ihren Beruf als Bahnfacharbeiterin aufgegeben, um das gemeinsame Kind der Parteien zu betreuen und während intakter Ehe eine Umschulung zur Familienpflegerin absolviert. Angesichts der nunmehr sechzehnjährigen Berufspause, in der sich der Übergang von der Deutschen Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG sowie ein erheblicher technologischer Wandel vollzogen hätten, könne sie mangels ausreichender Qualifikationen nicht mehr in ihren Ausbildungsberuf zurückkehren und auch nicht mehr an das dort gebotene Einkommensniveau anknüpfen. In ihrem neuen Beruf könne die Ehefrau bei unterstellter Vollzeittätigkeit monatlich 1.472 € brutto erzielen. Demgegenüber ergebe sich aus dem Versicherungsverlauf ihrer Versorgungsauskunft, dass sie bereits zwischen Juli und Dezember 1990 als Bahnfacharbeiterin ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.774 € erzielt habe.

Hiergegen könne der Ehemann nicht einwenden, dass die Ehefrau ohne die Ehe heute nicht mehr als Bahnfacharbeiterin, sondern allenfalls als Kundenbetreuerin arbeiten und dabei kein höheres Einkommen als eine Familienhelferin erzielen könnte. Diese Feststellung, für die der Ehemann darlegungs- und beweispflichtig sei, könne nicht getroffen werden. Beide Parteien hätten eine ähnliche Berufsausbildung, ursprünglich bei dem gleichen Arbeitgeber gearbeitet und vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes Einkünfte in vergleichbarer Höhe bezogen. Der Ehemann arbeite noch heute im Ausbildungsberuf und erziele dabei ein monatliches Bruttoeinkommen von 2.360 €. Bei dieser Situation sprächen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Ehefrau ohne die Ehe beruflich verschlechtert hätte. Solche Anhaltspunkte ließen sich auch nicht daraus gewinnen, dass die Umschulung zur Familienhelferin möglicherweise nicht aus einer seinerzeitigen beruflichen Notwendigkeit, sondern aus Neigung erfolgt sei. Ein solcher Zusammenhang sei schon nicht bewiesen, zumal der Ehemann selbst nicht behaupte, dass eine Tätigkeit als Bahnfacharbeiterin im Schichtdienst mit der Betreuung des seinerzeit vierjährigen Sohnes vereinbar gewesen sei. Zudem könnten aus der gemeinsamen und während intakter Ehe getroffenen Entscheidung zur Umschulung keine Nachteile für die Ehefrau erwachsen.

Das Vorliegen ehebedingter Nachteile sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil der gemeinsame Sohn der Parteien schon mehr als zwei Jahre vor der Eheschließung geboren sei. Durch die Eheschließung mit der Mutter seines Kindes habe der Ehemann die Verantwortung für Mutter und Kind als eheliche Verantwortung in der Form übernommen, wie er die Mutter im Zeitpunkt der Hochzeit angetroffen habe, nämlich mit Erwerbsnachteilen aufgrund der Geburt des gemeinsamen Kindes. § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB unterscheide den dort definierten Nachteil nicht danach, ob das gemeinschaftliche Kind aus der Ehe hervorgegangen sei oder nicht. Die voreheliche Geburt eines gemeinschaftlichen Kindes gehöre anders als etwa eine voreheliche Erkrankung nicht zu solchen „Schadensanlagen“, die aus der nachehelichen Solidarität herausgenommen werden könnten. Zudem habe die Geburt eines Kindes, auch wenn diese vorehelich erfolgt sei, regelmäßig unmittelbare Auswirkungen auf die in der Ehe gewählte Rollenverteilung. Die aus dieser Rollenverteilung resultierenden Erwerbsnachteile des betreuenden Elternteils träten in der Ehe jederzeit wieder neu auf und seien deshalb als ehebedingt zu verstehen. Der betreuende Elternteil, der im Vertrauen auf die Ehe und die in der Ehe gegenseitig geschuldete Solidarität solche Erwerbsnachteile aufgrund der gewählten Rollenverteilung auf sich nehme, dürfe darauf vertrauen, dass er diejenigen Nachteile, die ihm auch nachehelich verbleiben, nicht allein tragen müsse. Schließlich sei im vorliegenden Einzelfall durch die während intakter Ehe einvernehmlich getroffene Entscheidung der Parteien, dass die Ehefrau eine Umschulung zur Familienhelferin absolvieren solle, eine weitere Nachteilsursache gesetzt worden. Denn der neue Beruf habe der Ehefrau nur geringere Erwerbsmöglichkeiten geboten.

Auch eine Herabsetzung des Unterhalts komme nicht in Betracht, weil hier mit dem Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen in der Sache lediglich ein Nachteilsausgleich bewirkt werde. Um aus eigener Kraft ihren Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestreiten zu können, müsste die Ehefrau ein Bruttoeinkommen in Höhe von rund 1.900 € erzielen. Der Unterschied zwischen dem heute zur Bedarfsdeckung erforderlichen Bruttoeinkommen (1.900 €) und dem im Jahre 1990 erzielten Einkommen (1.774 €) betrage lediglich 126 €. Es sei davon auszugehen, dass die Ehefrau ohne die Ehe und die ehebedingten Nachteile eine Erhöhung ihres Bruttoeinkommens in mindestens dieser Höhe erzielt hätte, was auch der Vergleich mit der Einkommensentwicklung auf Seiten des Ehemannes verdeutliche.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt hier der vom Berufungsgericht zugesprochene Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) ist nach § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Nach § 1578 b Abs. 2 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus § 1578 b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben.

1. Die geraume Zeit vor Eheschließung (hier: rund zweieinhalb Jahre) aufgenommene Betreuung eines gemeinsamen Kindes kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keinen „ehebedingten“ Erwerbsnachteil begründen.

Die gesetzliche Regelung stellt in § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB darauf ab, inwiefern „durch die Ehe“ Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Auch die Nachteile gemäß § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB, die infolge der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes entstanden sind, beziehen sich auf „solche Nachteile“, d.h. durch die Ehe entstandene Nachteile und zudem auf die Kindererziehung „während der Ehe“. Auch wenn damit nicht ausgeschlossen ist, dass noch durch die nacheheliche Kinderbetreuung Nachteile entstehen oder vergrößert werden können, ist jedenfalls eine über einen längeren Zeitraum praktizierte voreheliche Kinderbetreuung davon nicht erfasst (Senatsurteil vom 7. März 2012 XII ZR 25/10 FamRZ 2012, 776 Rn. 19). Ebenso wenig vermögen die längere Zeit vor der Eheschließung getroffenen beruflichen Dispositionen des späteren Ehegatten für ihn einen ehebedingten Nachteil zu begründen, und zwar auch dann nicht, wenn diese unmittelbar durch das voreheliche Zusammenleben veranlasst worden waren (vgl. Senatsurteile vom 6. Oktober 2010 XII ZR 202/08 FamRZ 2010, 1971 Rn. 25 und vom 2. Februar 2011 XII ZR 11/09FamRZ 2011, 1377 Rn. 20).

Damit steht im Einklang, dass allein das Zusammenleben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung keine rechtlich gesicherte Position begründet. Ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 2 BGB beruht allein auf der Betreuung gemeinsamer Kinder, während ein über die Kindesbetreuung hinausgehender Unterhalt selbst dann nicht geschuldet ist, wenn dem Elternteil durch die Betreuung bleibende Nachteile entstanden sind. Die spätere Eheschließung wirkt nicht auf die Zeit des vorherigen Zusammenlebens und der Betreuung gemeinschaftlicher Kinder zurück (Senatsurteil vom 7. März 2012 XII ZR 25/10 FamRZ 2012, 776 Rn. 20). Anders als das Berufungsgericht meint, kann die Eheschließung deshalb auch keine rückwirkende Haftung für solche auf der Kinderbetreuung beruhenden Erwerbsnachteile begründen, die dem betreuenden Elternteil im Zeitpunkt der Eheschließung bereits entstanden waren.

Richtig ist allerdings, dass sich ein ehebedingter Nachteil aus der Fortsetzung der Kinderbetreuung nach der Eheschließung ergeben kann, wenn und soweit ein Ehegatte mit Rücksicht auf die Ehe und die übernommene oder fortgeführte Rollenverteilung auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Ein Nachteil entsteht dem Ehegatten in diesem Fall, wenn er bei Eheschließung aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe keine (weitergehende) Erwerbstätigkeit aufnimmt und ihm dadurch eine dauerhafte Einkommenseinbuße entsteht (vgl. Senatsurteil vom 7. März 2012 XII ZR 25/10 FamRZ 2012, 776 Rn. 21). Demgegenüber bleibt es allerdings dabei, dass solche Erwerbsnachteile, die bei dem betreuenden Elternteil bereits infolge der vorehelichen Geburt des Kindes oder durch die in der Zeit vorehelicher Kinderbetreuung getroffenen beruflichen Dispositionen endgültig eingetreten sind und nicht mehr ausgeglichen werden können, keine ehebedingten Ursachen haben.

2. Dieser Rechtsirrtum ergreift die weitergehenden Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe eines bei der Ehefrau entstandenen ehebedingten Nachteils.

Um einen ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Einkommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. bei Ausschöpfung seiner Erwerbsmöglichkeiten nach §§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte. Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs bemisst sich dabei regelmäßig nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Dieses Einkommen hat das Berufungsgericht mit mindestens 1.900 € (brutto) bemessen, was sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen allerdings nicht als tragfähig erweist.

a) Bei seinen Erwägungen zum Verlauf einer hypothetischen Erwerbsbiographie der Ehefrau konnte das Berufungsgericht schon im gedanklichen Ausgangspunkt nicht wie geschehen an die Überlegung anknüpfen, dass die Ehefrau ohne die Geburt des gemeinsamen Sohnes im Jahre 1991 ihren Arbeitsplatz als Bahnfacharbeiterin bei der Deutschen Reichsbahn nicht aufgegeben und voraussichtlich weiter durchgehend in ihrem erlernten Beruf beschäftigt gewesen wäre. Denn die Kündigung des Arbeitsplatzes im Jahre 1991 beruhte aus den oben dargestellten Gründen weder auf der Ehe noch auf der Kinderbetreuung während der Ehe.

Nicht zutreffend sind im Übrigen die Feststellungen des Berufungsgerichts zu den von der Ehefrau vor der Geburt des Kindes im Jahre 1991 erzielten Erwerbseinkünften als Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn. Soweit das Berufungsgericht der von der DRV Knappschaft-Bahn-See für die Ehefrau erteilten Versorgungsauskunft vom 25. August 2006 entnehmen will, dass diese im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 1990 (Inkrafttreten des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion) und dem 31. Dezember 1990 ein gesamtes Bruttoeinkommen von 20.813 DM erzielt habe, liegt diesem Betrag kein tatsächlich erzielter Arbeitsverdienst in gleicher Höhe zugrunde. Vielmehr handelt es sich bei diesem Wert um eine Rechengröße, welche die Ermittlung von Entgeltpunkten für die im Beitrittsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten nach Maßgabe der Sondervorschrift des § 256 a Abs. 1 Satz 1 SGB VI ermöglichen soll. Für diese Berechnung (sog. Hochwertung) wird der Betrag, der nach § 256 a Abs. 2 und Abs. 3 SGB VI rentenrechtlich als Verdienst des Versicherten behandelt wird, mit dem sich für den maßgeblichen Zeitraum aus Anlage 10 zum SGB VI ergebenden Faktor (hier: 2,3473) multipliziert. Daher dürfte die Ehefrau unmittelbar vor der Aufgabe ihres Arbeitsplatzes bei der Deutschen Reichsbahn im Jahre 1991 tatsächlich nicht das vom Berufungsgericht angenommene monatliche Bruttoeinkommen in Höhe von 3.468 DM oder 1.774 €, sondern einen deutlich darunter liegenden Verdienst erzielt haben.

b) Abzustellen war vielmehr auf die konkreten Erwerbsmöglichkeiten, die sich der Ehefrau nach rund zweieinhalbjähriger Arbeitslosigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung im September 1993 geboten hätten, weil ihr Verzicht auf die Wiederaufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit erst von diesem Zeitpunkt an (auch) auf die eheliche Rollenverteilung und damit auf eine ehebedingte Ursache zurückzuführen war. Hierzu lassen sich der Entscheidung des Berufungsgerichts keine hinreichenden Feststellungen entnehmen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (grundlegend Senatsurteil BGHZ 185, 1 = FamRZ 2010, 875 Rn. 18 ff.) trifft den Unterhaltsberechtigten im Rahmen von § 1578 b BGB eine sekundäre Darlegungslast, die zum Inhalt hat, dass der Unterhaltsberechtigte die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substanziiert bestreiten und seinerseits darlegen muss, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden.

Der Ehemann hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass die ursprünglich von der Ehefrau bei der Deutschen Reichsbahn bis zum Jahre 1991 ausgeübte Tätigkeit der Bahnhofsaufsicht infolge der Strukturänderungen bei der Bahn weitgehend weggefallen sei und sich im erlernten Beruf für die Ehefrau angesichts ihrer Vorbildung nur noch solche Beschäftigungsmöglichkeiten (Kundenbetreuerin im Regionalverkehr) geboten hätten, mit denen ein höheres Einkommen als im tatsächlich ausgeübten Pflegeberuf nicht erzielt werden könne. Angesichts dieses Vorbringens oblag es der Ehefrau, einerseits darzulegen, dass aus der Sicht des Jahres 1993 für sie noch eine reale Möglichkeit zur Rückkehr in ihren erlernten Beruf bestanden habe und andererseits substanziiert dazu vorzutragen, welche beruflichen Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten sich dort für sie ergeben hätten.

bb) Die von dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang angestellten Plausibilitätsüberlegungen auf der Grundlage eines Vergleiches mit der Einkommensentwicklung aufseiten des Ehemannes vermögen einen substanziierten Vortrag zu den konkreten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten der Ehefrau nicht zu ersetzen. Zwar kann sich der Unterhaltsberechtigte im Rahmen der sekundären Darlegungslast auch des Hinweises auf vergleichbare verläufe bedienen, um sein Vorbringen zu den seinerzeit vorhandenen beruflichen Entwicklungschancen plausibel zu machen (Senatsurteile vom 26. Oktober 2011 XII ZR 162/09 FamRZ 2012, 93 Rn. 24 und vom 11. Juli 2012 XII ZR 72/10 FamRZ 2012, 1483 Rn. 41), was aber schon im Ausgangspunkt voraussetzt, dass die Erwerbsbiographien der Vergleichspersonen überhaupt genügend Berührungspunkte aufweisen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 2012 XII ZR 72/10 FamRZ 2012, 1483 Rn. 41). Davon ist unter den obwaltenden Umständen schon deshalb nicht auszugehen, weil der Ehemann (Lokführer) und die Ehefrau (Bahnhofsaufsicht) schon bei der Deutschen Reichsbahn in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen beschäftigt waren und die berufliche Laufbahn der Ehefrau bei der Bahn durch die nicht als ehebedingt anzusehende Aufgabe des Arbeitsplatzes im Jahr 1991 und die daran anschließende Arbeitslosigkeit für mehrere Jahre unterbrochen war.

cc) Bei der Entwicklung einer hypothetischen Erwerbsbiographie wird das Berufungsgericht in tatrichterlicher Verantwortung auch darüber zu befinden haben, ob die von der Ehefrau absolvierte zweijährige Umschulung zur Familienpflegerin angesichts der Erwerbsaussichten der Ehefrau im Zeitpunkt bei Eheschließung auch unabhängig von ehelicher Rollenverteilung und Kinderbetreuung durchlaufen worden wäre, wenn sich dazu die Gelegenheit geboten hätte. Die Bewilligung einer öffentlich geförderten Umschulungsmaßnahme durch die Arbeitsverwaltung wird als Indiz dafür auszuwerten sein, dass die Umschulung für die Ehefrau sowohl im Hinblick auf die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt als auch im Hinblick auf ihre individuellen Verhältnisse jedenfalls kurze Zeit nach Eheschließung im Jahre 1995 sinnvoll gewesen sein muss, um ihr bessere Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Zudem hat der Ehemann geltend gemacht, dass die Hinwendung zu einem pflegerischen Beruf den Neigungen der Ehefrau entsprochen habe und in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass die Ehefrau schon in den 1980er Jahren in der ehemaligen DDR für mehrere Jahre den Bahnberuf aufgegeben hatte, um in einem Kreispflegeheim zu arbeiten. Freilich würde der Umstand, dass die Ehefrau ohne die in der Ehe übernommene Rollenverteilung eine Umschulung absolviert hätte und anschließend im pflegerischen Bereich tätig geworden wäre, das Vorhandensein solcher, an entgangene Verdienstmöglichkeiten im Umschulungsberuf anknüpfender ehebedingter Nachteile nicht ausschließen. Auch hierzu fehlt es allerdings bislang an einem hinreichend substanziierten Vortrag der Ehefrau.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, den Unterhaltsanspruch der Ehefrau nach § 1578 b BGB weder herabzusetzen noch zu befristen, erweist sich nach dem bisherigen Streitstand auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass auch dann, wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts insoweit ausscheidet, als das Maß der von dem Unterhaltspflichtigen geschuldeten nachehelichen Solidarität einen fortdauernden Unterhaltsanspruch nach den ehelichen Lebensverhältnissen begründet. Bei der insoweit gebotenen Abwägung sind insbesondere die in § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB genannten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 30. März 2011 XII ZR 63/09 FamRZ 2011, 875 Rn. 16 und vom 2. März 2011 XII ZR 44/09 FamRZ 2011, 713 Rn. 22). Nach diesen Maßstäben stehen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts auch unter Berücksichtigung der rund dreizehnjährigen Ehedauer und der von der Ehefrau erbrachten Betreuungsleistungen für das gemeinsame Kind der Annahme nicht entgegen, dass ein unbefristet fortdauernder Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig erscheinen könnte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellten Einkommensverhältnisse der Parteien, weil die Ehefrau aus eigenen Einkünften auch ohne Unterhaltszahlungen des Ehemannes einen über ihrem Mindestbedarf liegenden Lebensbedarf sicherzustellen vermag und die Einkommensverhältnisse des Ehemannes bestenfalls durchschnittlich sind.

BGH, Urteil vom 23.02.2013
XII ZR 148/10

AG Lörrach, Entscheidung vom 21.01.2009, 11 F 433/06
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 22.10.2010, 5 UF 42/09

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