OLG Brandenburg: Umfang der Darlegungs- und Beweislast für die Leistungsfähigkeit bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit

  1. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
  3. Der Berufungswert beträgt 6.319,00 €.
  4. Den Klägerinnen wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von

Rechtsanwältin Grehn in Senftenberg bewilligt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um den Regelbetrag für die noch minderjährigen Klägerinnen.

Die am 31. August 1999 geborene Klägerin zu 1. und die am 18. Dezember 1994 geborene Klägerin zu 2. sind die nichtehelich geborenen Kinder des Beklagten. Sie leben bei ihrer Mutter, die sie betreut, versorgt und gesetzlich vertritt. Die Klägerinnen haben vormals Unterhaltsvorschuss erhalten, die Klägerin zu 1. monatlich 106 €, die Klägerin zu 2. monatlich 145 €. Das Kindergeld bezieht die gesetzliche Vertreterin der Klägerinnen.

Der Beklagte ist gelernter Elektro- und Funkmechaniker. Er ist seit längerem arbeitslos und bezieht staatliche Transferleistungen, zuletzt in Form von Arbeitslosengeld II nach dem SGB Der Beklagte ist – wohl – Alleineigentümer eines in der Finsterwalder Straße 13 in G… gelegenen, bebauten Grundstückes. Das Haus verfügt zumindest über eine 119 m² große, durch den Beklagten selbst genutzte und wohl im Obergeschoss gelegene Wohnung. Die im Erdgeschoss befindlichen Räumlichkeiten werden durch den Beklagten gewerblich genutzt zum Betrieb einer Gaststätte. Darüber hinaus existiert noch eine weitere Wohneinheit, die durch den Beklagten vermietet wird. Insgesamt erzielt der Beklagte aus der Vermietung zweier Wohneinheiten monatliche Nettokaltmieteinnahmen von 244 €.

Die Klägerinnen haben mit Schreiben vom 23. Juni 2003 den Beklagten zur Erteilung einer Auskunft über sein Einkommen aufgefordert.

Die Klägerinnen haben behauptet, der Beklagte erziele aus dem Betrieb einer Gaststätte ausreichend Einkünfte, die ihm unter Berücksichtigung des ihm weiter zuzurechnenden Wohnvorteils in die Lage versetzen würden, ihnen den Mindestunterhalt zu zahlen.

Die Klägerinnen haben beantragt,

  • den Beklagten zu verurteilen, ihnen ab Juli 2003 unter Anrechnung der geleisteten Unterhaltsvorschussbeträge
  • die Regelbeträge gemäß der Regelbetragsverordnung zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

  • die Klagen abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht leistungsfähig zu sein. Im Übrigen habe er sich ausreichend um eine neue Arbeitsstelle bemüht, wofür er auf im Einzelnen dargetane Erwerbsbemühungen (insbesondere Bl. 46 ff d. A.) Bezug genommen hat.

Mit dem am 9. September 2005 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht Senftenberg den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung der Regelbeträge unter Anrechnung der erhaltenen Unterhaltsvorschussleistungen verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Für die Durchführung seiner Berufung hat der Beklagte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt, die ihm der Senat mit Beschluss vom 12. April 2006 versagt hat.

II.

Die Berufung ist nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung haben und da die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordert. Das Amtsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen den Beklagten als zumindest fiktiv leistungsfähig zur Zahlung der geltend gemachten Kindesunterhaltsbeträge, bei denen es sich um die Regelbeträge nach der Regelbetragsverordnung und daher den so genannten Mindestunterhalt handelt, behandelt.

1.

Die für einen Unterhaltsanspruch vorausgesetzte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten wird nicht allein durch das tatsächlich vorhandene Einkommen des Unterhaltsschuldners, sondern vielmehr auch durch seine Erwerbsfähigkeit bestimmt. Reichen seine tatsächlichen Einkünfte nicht aus, so trifft ihn unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, seine Arbeitsfähigkeit in bestmöglicher Weise einzusetzen und eine mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben (BGH FamRZ 1985, 158, 159; 1994, 372, 373; 1998, 357, 359). Gegenüber minderjährigen Kindern erfährt diese Verpflichtung aufgrund der Vorschrift des § 1603 Abs. 2 BGB eine Verschärfung dahin, dass den Unterhaltspflichtigen eine noch erheblich gesteigerte Verpflichtung zur Ausnutzung seiner Arbeitskraft trifft. Dies folgt aus der die Eltern treffenden rechtlichen und sittlichen Pflicht, ihre Kinder am Leben zu erhalten; diese Pflicht findet ihre Grenze allein in der Unmöglichkeit (RG JW 1903, 29, zitiert bei OLG Dresden, OLG-Report 2005, 496). Für seine den Mindestunterhalt im Sinne eines Existenzminimums betreffende Leistungsunfähigkeit ist der Verpflichtete in vollem Umfange darlegungs- und beweisbelastet (BGH FamRZ 1996, 345, 346). Legt der Unterhaltsverpflichtete nicht dar, dieser Obliegenheit vollständig gerecht geworden zu sein, so muss er sich so behandeln lassen, als ob er über ein solch hohes Einkommen verfügt, welches ihm die Zahlung des Mindestunterhaltes ermöglicht (st. Rspr. des Senats, Brandenburgisches OLG NJW-RR 2005, 949; FuR 2004, 38, 40; NJWE-FER 2001, 70 ff.; s. auch JAmt 2004, 502; FamRB 2004, 216, 217).

Ein gemäß § 1603 Abs. 2 BGB verschärft haftender Unterhaltspflichtiger hat sich intensiv, d.h. unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen. Er muss alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen, um ein die Zahlung des Mindestunterhaltes sicherstellendes Einkommen zu erzielen. Bei eigener Arbeitslosigkeit hat sich der Pflichtige durch intensive Suche um eine Erwerbsstelle zu bemühen; bei Arbeitsstellen mit geringeren Einkommen ist entweder eine neue Arbeitsstelle oder eine weitere Beschäftigung zu suchen, um zusätzliche Mittel zu erlangen, etwa zusätzliche Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten (OLG Köln NJWE-FER 1999, 84, 85). Dabei kommen für die Ausübung einer Nebentätigkeit auch Zeiten, die üblicherweise dem Freizeitbereich zuzuordnen sind, in Betracht (OLG Dresden OLG-Report 2005, 496). Die beruflichen Dispositionsmöglichkeiten treten dabei weitgehend hinter der Elternverantwortung zurück (OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 29, 30), weshalb sich die Bemühungen um die (Wieder-) Erlangung einer Arbeit nicht auf den Bereich des erlernten Berufes oder der zuletzt ausgeübten Tätigkeit beschränken dürfen. Vielmehr ist dem Unterhaltspflichtigen grundsätzlich anzusinnen, sich jedenfalls nach einiger Zeit um jede Art von Tätigkeit, auch eine solche unterhalb seines Ausbildungsniveaus, zu bemühen. Hierzu zählen Arbeiten für ungelernte Kräfte ebenso wie Arbeiten zu ungünstigen Zeiten oder zu wenig attraktiven Arbeitsbedingungen (OLG Zweibrücken, a. O.).

Bestehen keine die Interessen des unterhaltsbedürftigen Kindes eindeutig überwiegenden Bindungen an den bisherigen Wohnort, so muss unter Inkaufnahme eines Wohnortwechsels gegebenenfalls im gesamten Bundesgebiet eine Arbeit übernommen werden, sofern in einem anderen Teil Deutschlands bessere bzw. höher dotierte Erwerbsmöglichkeiten bestehen und die Umzugskosten mit Rücksicht auf den erzielbaren Verdienst tragbar erscheinen. Hiernach sind die Erwerbsbemühungen, sofern sie im Bereich des näheren Wohnumfeldes keinerlei Erfolg hatten, jedenfalls nach einiger Zeit auf das großräumige Umfeld, das gesamte Bundesland und schließlich auch auf Erfolg versprechende Bereiche im übrigen Bundesgebiet zu erstrecken (OLG Köln, FamRZ 1997, 1105).

Für die Suche nach Arbeit selbst ist die Zeit aufzuwenden, die erforderlich ist, alle der nach Vorgesagtem in Betracht kommenden Stellen zu erfassen, sich darauf zu bewerben und Vorstellungsgespräche wahrzunehmen. Dies wird bei Arbeitslosen in aller Regel dem Zeitaufwand eines vollschichtig Erwerbstätigen entsprechen (OLG Köln NJWE-FER 1999, 84, 85; FamRZ 1997, 1104, 1105; OLG Hamm, FamRZ 1994, 115), wohingegen bei Erwerbstätigen geringere Anforderungen zu stellen sind.

Regelmäßige Meldungen beim Arbeitsamt und die Wahrnehmung sämtlicher von dort angebotenen Vermittlungen sind in diesem Zusammenhang selbstverständlich, indes für sich allein nicht ausreichend. Vielmehr ist auch bei einfachen Arbeitsplätzen die regelmäßige und kontinuierliche Auswertung der gesamten einschlägigen örtlichen wie gegebenenfalls auch überörtlichen Tages- und Wochenpresse erforderlich. Eigene Annoncen sind ebenso zu erwarten, wie „Blind-Bewerbungen“ bei allen in Betracht kommenden Arbeitgebern. Bewerbungen sind auch bei einfachen Arbeitsplätzen grundsätzlich in schriftlicher Form abzufassen und so zu gestalten, dass sie geeignet erscheinen, den Adressaten von der Ernsthaftigkeit der Bewerbung und der Eignung des Bewerbers zu überzeugen. Bloße telefonische Bewerbungen sind demgegenüber auch bei einfachen Arbeitsplätzen in aller Regel nicht ausreichend, da bei der heutigen Arbeitsmarktlage davon ausgegangen werden muss, dass ein gewerblicher Arbeitgeber nur schriftliche Arbeitsgesuche in die engere Auswahl einbezieht.

Für die ordnungsgemäße Erfüllung sämtlicher der zuvor dargestellten Voraussetzungen ist der Unterhaltsverpflichtete darlegungs- und beweisbelastet. Dies gilt auch für die Richtigkeit der Behauptung fehlender realer Beschäftigungschancen (Brandenburgisches OLG JAmt 2004, 502, 503). Zweifel daran, dass bei angemessenen Bemühungen eine Beschäftigungschance von vornherein auszuschließen ist, gehen daher zu Lasten des Unterhaltsverpflichteten. Auch ältere Arbeitnehmer sind – trotz schwieriger allgemeiner wirtschaftlicher Lage – von ihrer Darlegungslast nicht befreit, da die Sicherstellung des Minderjährigenunterhalts im Familienrecht absolute Priorität genießt (OLG Saarbrücken ZFE 2005, 100 f. – für 63-jährigen Unterhaltsschuldner; OLG Hamm FamRZ 2005, 297 – für 57-jährigen Unterhaltsschuldner).

2.

Diesen strengen Anforderungen genügt das Vorbringen des Beklagten erkennbar nicht.

a.

So hat der Beklagte bereits seine tatsächliche Leistungsunfähigkeit nicht in ausreichendem Maße dargelegt.

aa.

Bis auf einige rudimentäre Angaben fehlen nähere Angaben zu den für eine Bestimmung des dem Beklagten zuzurechnenden Wohnwertes maßgebenden Wert bildenden Faktoren von Haus und Grundstück.

So ist nicht einmal genau bekannt, welche Wohnfläche vorhanden ist. Die Behauptung der Klägerinnen über eine Wohnfläche von 238 m² hat der Beklagte bestritten und sodann zunächst behauptet, er selbst bewohne eine Wohnfläche von 60 m² (Bl. 33 d. A.), wohingegen er nunmehr die von ihm selbst bewohnte Fläche mit 119 m² im Rahmen der Berufungsbegründung (Bl. 165 d. A.) angibt.

Unabhängig von diesem widersprüchlichen Vorbringen des Beklagten fehlen nähere Angaben zu den vermieteten Wohneinheiten. Auch im Übrigen sind keine Angaben zur genauen Ausstattung, dem konkreten baulichen Zustand, der genauen Größe des Grundstückes und evtl. sonstigen aufstehenden Gebäuden vorhanden. Nach alledem kann ein dem Beklagten evtl. zuzurechnender Wohnvorteil nicht errechnet werden. Dies geht jedoch zulasten des für seine eigene Leistungsunfähigkeit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten.

bb.

Gleiche Erwägungen treffen auf die durch den Beklagten erzielten Mieteinnahmen zu. Allein der Hinweis auf die konkret erzielten Mieteinnahmen genügt insoweit nicht. Vielmehr hätte es einer mehrere Jahre erfassenden Aufstellung bedurft, mit der einerseits die konkreten Mieteinnahmen, andererseits die angefallenen Belastungen einzeln gegenüber zu stellen wären. All dies fehlt hier.

cc.

Zuletzt sind auch die Angaben des Beklagten zu seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb mangelhaft.

Eine Aufstellung über die insoweit erzielten Einkünfte nebst entsprechenden Belastungen über mehrere Jahre hinweg fehlt auch hier. Es ist nicht einmal bekannt, ob der Beklagte derzeit noch – wie die Klägerinnen im Rahmen ihrer Klageschrift zumindest angedeutet haben – ein Gaststättengewerbe betreibt.

b.

Selbst wenn aber der Beklagte unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Einkünfte tatsächlich leistungsunfähig wäre, müsste er sich aufgrund eines Verstoßes gegen die ihn treffende gesteigerte Erwerbsobliegenheit als fiktiv leistungsfähig zur Zahlung des hier geforderten Mindestunterhaltes behandeln lassen.

aa.

Hinsichtlich des feststellbaren Verstoßes kann auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts in der angefochtenen Entscheidung – dort S. 9 f – Bezug genommen werden. Hieraus ist erkennbar, dass die Bemühungen des Beklagten bei weitem nicht die vorangestellten strengen Anforderungen an die gesteigerte Erwerbsobliegenheit erfüllen.

bb.

Hinzu kommt, dass der Beklagte auch hinsichtlich der Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit kein ausreichendes Vorbringen getätigt hat. Dass er aber nicht in der Lage ist, einen Nebenerwerb nachzugehen und dadurch die hier erforderlichen Beträge (Klägerin zu 1. monatlich 228 €, Klägerin zu 2. monatlich 169 €) neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II zu beziehen, ist nicht erkennbar.

Dabei ist zu beachten, dass derartige Nebeneinkünfte anrechnungsfrei gegenüber dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II wären. Unterhaltsansprüche, denen ein Unterhaltsverpflichteter ausgesetzt ist, sind von seinem Einkommen abzuziehen, wenn es um den Unterhalt von minderjährigen (erstrangigen) Kindern geht (SG Dortmund Jugendamt 2005, 144; Fichtner/Wenzel-Augstein, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., 2005. Rn. 3). Das für diese Unterhaltszwecke eingesetzte Einkommen bleibt daher anrechnungsfrei gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II, sodass es ohne Auswirkungen auf den Bezug von Leistungen auf Arbeitslosengeld II ist.

III.

Auf die vorgenannten, dem Erfolg der Berufung weiter entgegenstehende Erwägungen hat der Senat den Beklagten bereits mit Beschluss vom 12. April 2006 hingewiesen, ohne dass der Beklagten hierzu innerhalb der ihm gesetzten Frist Stellung genommen hat.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 18.05.2006
9 UF 238/05

Amtsgericht Senftenberg, Urteil vom 19.12.2005
32 F 243/04

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