OLG Braunschweig: Nachehelicher Unterhalt bei Betreuung ADS-Kind

  1. Der Unterhaltspflichtige schuldet seiner geschiedenen Ehefrau Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB, wenn die geschiedene Ehefrau ein 13- bis 15-jähriges Kind betreut, das an ADS leidet und dadurch erhöhter Betreuungsaufwand besteht. Ihre Erwerbsverpflichtung erfüllt sie mit Ausübung einer Halbtagstätigkeit.
  2. Bei der Bedarfsbemessung des geschiedenen Ehegatten sind sämtliche nachrangigen Unterhaltsberechtigten des Pflichtigen, auch die gegebenenfalls nachrangige neue Ehefrau, zu berücksichtigen. Die Berechnung hat mit der sogenannten »Drittelrechnung« zu erfolgen. Synergieeffekten durch das Zusammenleben des Pflichtigen mit seiner neuen Ehefrau wird dadurch Rechnung getragen, daß der Bedarf der geschiedenen Ehefrau um 10% erhöht und der Bedarf der neuen Ehefrau und des Pflichtigen um je 5% gesenkt werden.
  3. Zu den Voraussetzungen einer Ehe von langer Dauer im Sinne der §§ 1609 Nr. 2, 1578b BGB.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Wolfsburg, (17 F 3357/07) hinsichtlich der Beklagten zu 1) und zu 3) wie folgt abgeändert und neu gefaßt:

Der vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Wolfsburg (17 F 3090/07) am 15.09.2005 abgeschlossene Vergleich wird dahingehend abgeändert, daß

a) der Unterhaltsanspruch der Beklagten zu 1) ab März 2007 entfällt,

b) an die Beklagte zu 3) noch folgende Unterhaltsbeträge zu zahlen sind: März bis Juni 2007 295 €, Juli und August 2007 297 €, September bis Dezember 2007 265 €, Januar bis Juli 2008 283 €, August 2008 bis August 2009 289 €, und ab September 2009 152 €.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. a) Von den Gerichtskosten der ersten Instanz haben der Kläger 40%, die Beklagte zu 1) 30% und die Beklagte zu 3) 30% zu tragen.

b) Von den Gerichtskosten der Berufungsinstanz haben der Kläger 59%, die Beklagte zu 1) 26% und die Beklagte zu 3) 15% zu tragen.

c) Von den außergerichtlichen Kosten der ersten Instanz des Klägers hat die Beklagte zu 1) 30% und die Beklagte zu 3) 30% zu tragen, des Beklagten zu 2) hat der Kläger 100% zu tragen, der Beklagten zu 3) hat der Kläger 52% zu tragen. Im übrigen trägt jeder seine Kosten selbst.

d) Von den außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz des Klägers haben die Beklagte zu 1) 26%, die Beklagte zu 3) 15% zu tragen. Von den Kosten des Beklagten zu 2) hat der Kläger 100%, und von den Kosten der Beklagten zu 3) 78% zu tragen. Im übrigen trägt jeder seine Kosten selbst.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Abänderung eines bestehenden Titels in Anspruch. Der Kläger und die Beklagte zu 3) sind geschiedene Eheleute, die Beklagten zu 1) und zu 2) die Kinder des Klägers und der Beklagten zu 3).

Die Parteien haben am 15. September 2005 im Verfahren 17 F 3090/03 anläßlich der Scheidung einen Vergleich geschlossen, mit dem sich der Kläger verpflichtet hatte, an die Beklagten zu 1) und zu 2) jeweils 128% des Regelbetrages der Regelbetragverordnung sowie an die Beklagte zu 3) monatlichen nachehelichen Unterhalt in Höhe von 364 € zu zahlen.

Der Kläger und die Beklagte zu 3) haben am 28. März 1991 geheiratet. Sie haben sich am 15. Mai 2002 getrennt; der Scheidungsantrag wurde am 8. Mai 2003 zugestellt. Sie wurden durch Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 15. September 2005 (17 F 3090/03) geschieden; die Scheidung ist seit 22. November 2005 rechtskräftig.

Die Beklagte zu 1) ist am 1. März 1988 geboren; sie wurde vom Kläger adoptiert. Sie hat im Sommer 2005 ihren Realschulabschluß erfolgreich absolviert und im Anschluß die einjährige Berufsfachschule für Wirtschaft besucht und diese am 19. Juli 2006 mit einem Abgangszeugnis verlassen. Bis Januar 2007 ist sie keiner Tätigkeit nachgegangen. Im Zeitraum 30. Januar bis Juli 2007 hatte sie geringfügige Einkünfte. Seit 30. August 2007 besucht sie die Besuchsfachschule mit dem Ziel des Berufs der Sozialassistentin; die Schule wird sie voraussichtlich bis zum Sommer 2009 beenden. Sie beabsichtigt, im Anschluß die Erzieherschule zu besuchen. Seit Beginn der schulischen Ausbildung erhält sie monatlich 192 € BAföG, seit August 2008 monatlich 212 €.

Der Beklagte zu 2) ist am 20. August 1994 geboren. Er geht noch zur Schule und wohnt bei der Beklagten zu 3). Er leidet an einer »hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens« und wird medikamentös behandelt; er ist insgesamt in seinem Verhalten auffällig.

Die Beklagte zu 3) lebt seit November 2006 mit ihren Kindern allein. Sie verfügt über keine Berufsausbildung. In früheren Jahren hat sie zeitweise als Kassiererin gearbeitet, zeitweilig auch in einem Hotel. Im Zeitraum Dezember 2006 bis April 2008 war sie bei einer Hotelreinigungs- und Dienstleistungs GmbH in Teilzeit beschäftigt und erzielte Einkünfte bei Steuerklasse II von durchschnittlich rund 500 € netto; zusätzlich bezog sie Leistungen nach dem SGB II. Da sich die Beklagte zu 3) aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten des Sohnes mit ihrer Arbeit überfordert fühlte, kündigte sie ihre Arbeit zum Ende April 2008 und bezieht seit 29. April 2008 Arbeitslosengeld in Höhe von 9,67 € täglich und damit 290,10 € monatlich.

Der Kläger war bis September 2006 bei der VW AG tätig. Wegen der Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages bei der VW AG wurden ihm im Oktober 2006 141.403,67 € netto als Abfindung ausgezahlt. Der Kläger ist seit November 2006 bei einer anderen Firma tätig. Er hat im Dezember 2005 erneut geheiratet und wird nach Steuerklasse III besteuert; seine Ehefrau hat keine Einkünfte. Im Haushalt des Klägers leben drei weitere Kinder seiner Ehefrau.

Bereits im Oktober 2004 ist über das Vermögen des Beklagten aufgrund von ehebedingten Verbindlichkeiten das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Dieser Umstand war bereits Grundlage des Vergleichs vom September 2005. Es wurden im Rahmen des Insolvenzverfahrens rund 25.000 € Forderungen von Gläubigern angemeldet, und 20.583,48 € als Forderungen anerkannt und ausgezahlt. Die Vergütung des Treuhänders belief sich auf 23.523,55 €; 997,16 € wurden für Gerichtskosten entrichtet. Auf Antrag des Klägers vom 18. Oktober 2006 wurden ihm aus der Insolvenzmasse für den Zeitraum November 2006 bis Mai oder Juni 2008 monatlich 2.600 € ausgezahlt, da der Kläger seinen monatlichen Bedarf unter anderem auch auf die bestehenden Unterhaltsverpflichtungen gestützt hatte. Im Juli 2008 wurden an den Kläger 48.263,80 € und im August 2008 noch 69,23 € ausgekehrt. Das Insolvenzverfahren ist abgeschlossen.

Die Klage ist am 22. Oktober 2007 zugestellt worden. Mit Beschluß vom 4. Dezember 2007 hat das Amtsgericht Wolfsburg die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich von September 2005 hinsichtlich der Beklagten zu 1) eingestellt, soweit ab November 2007 mehr als 101 € vollstreckbar sind. Die Beklagte zu 3) hatte den Kläger ihrerseits widerklagend auf eine Unterhaltserhöhung in Anspruch genommen. Aufgrund mündlicher Verhandlung vor dem Amtsgericht am 14. Februar 2005 erging am gleichen Tage folgendes Urteil:

1. Der vor dem Amtsgericht Wolfsburg am 15. September 2005 abgeschlossene Vergleich (17 F 3090/03) wird dahin abgeändert, daß

a) der Kläger ab 22. Oktober 2007 an die Beklagte zu 1) nur noch 43 € und ab Januar 2008 nur noch 62 € zu zahlen hat, sowie

b) dahin, daß der Unterhaltsanspruch der Beklagten zu 3) bis zum 31. Dezember 2011 befristet wird und danach endet.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Widerklage wird abgewiesen.

Das Urteil wurde dem Kläger am 25. Februar 2008 zugestellt. Er hat hiergegen mit einem am 17. März 2008 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Mai 2008 hat der Kläger seine Berufung mit einem am Montag, dem 26. Mai 2008, eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Kläger meint, sein Abänderungsanspruch sei bereits ab 1. März 2007 und nicht erst ab Rechtshängigkeit, wie es das Amtsgericht gesehen habe, begründet. Er ist der Ansicht, Kindesunterhalt für den minderjährigen Sohn sei nur in Höhe von 288 € weiter zu zahlen, da dies seinem Einkommen nach der Düsseldorfer Tabelle entspreche. Kindesunterhalt für die Beklagte zu 1) sei nicht mehr zu leisten, da diese sich selbst unterhalten könne. Die Beklagte zu 1) habe ihre Ausbildung nicht stringent verfolgt. Er habe ihr bei VW einen Ausbildungsplatz vermitteln können, den sie nicht gewollt habe. Im übrigen könne sie vollschichtig arbeiten und damit mindestens 1.000 € im Monat verdienen. Sie habe den BAföG-Antrag falsch ausgefüllt; im Ergebnis habe sie gegen maßgebliche Pflichten eines Unterhaltsberechtigten verstoßen, nämlich alles zu tun, was möglich sei, um auf eigenen Beinen zu stehen.

Spätestens ab Rechtshängigkeit der Klage sei auch ein Geschiedenenunterhaltsanspruch der Beklagten zu 3) nicht mehr begründet. Die Ehe der Parteien sei nicht lang gewesen; aus ihr sei ein Kind hervorgegangen, das keine besondere Betreuung mehr benötige. Ehebezogene Nachteile, die aus Billigkeitsgründen einen Aufstockungsunterhalt begründen könnten, gebe es nicht. Die geschiedene Ehefrau habe einen Arbeitsplatz als Kassiererin bei Penny gehabt und sei entlassen worden. Während des erstinstanzlichen Verfahrens habe sie eine Stelle im Hotel gehabt und diese zu Beginn des Berufungsverfahrens aufgegeben. Das von der Beklagten zu 3) vorgelegte Attest vom 9. April 2008 sei inhaltsleer und sage nichts zum konkreten Gesundheitszustand. Der Beklagte zu 2) sei immerhin schon 14 Jahre alt und könne für sich selbst sorgen und bedürfe keiner besonderen Betreuung. Hinsichtlich der Schulproblematik sei er durch einen Brief informiert worden, denn es habe eine Klassenkonferenz gegeben, weil er seine Mitschüler »mobbe«. Er habe sich daraufhin mit der Schule in Verbindung gesetzt und habe erst einige Zeit später von seiner geschiedenen Frau telefonisch von den schulischen Problemen erfahren.

Die Parteien seien schon etliche Jahre getrennt und inzwischen geschieden; im übrigen habe sich die Beklagte zu 3) partnerschaftlich neu orientiert und führe einem Partner den Haushalt. Seine geschiedene Ehefrau habe einen Lebenspartner gehabt, der auch in der Wohnung gewohnt habe; mit diesem Mann sei der Beklagte zu 2) nicht klar gekommen. Ob und wann der Freund ausgezogen sei, wisse er nicht. Sie gehe auch einer Vollzeittätigkeit nach; es werde bestritten, daß diese so schlecht bezahlt würde, daß es einer Halbtagstätigkeit gleich käme.

Ein fiktives Fortschreiben seines Einkommens bei VW komme nicht in Betracht, da er aufgrund der Aufgabe des Arbeitsplatzes die Möglichkeit erhalten habe, gemeinsame Schulden, auch Schulden der Beklagten zu 3), abzulösen. Der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber sei nicht geschehen, um weniger Unterhalt zahlen zu müssen, sondern um in der Nähe seiner jetzigen Frau zu leben.

Hinsichtlich der Befristung lägen besondere Härtegründe, die zu berücksichtigen seien, nicht vor.

Er beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 14. Februar 2008, zugestellt am 25. Februar 2008, dahingehend abzuändern, daß die Unterhaltsverpflichtung des Klägers aus dem Vergleich des Amtsgerichts Wolfsburg vom 15. September 2005 (17 F 3023/05) mit Wirkung ab 1. März 2007, hilfsweise dahingehend abgeändert wird, daß der Kläger

a) keine Unterhaltszahlungen mehr für das volljährige Kind zu leisten,

b) keine Unterhaltszahlungen für die geschiedene Ehefrau zu leisten hat,

c) für das minderjährige Kind nicht mehr als 288 € monatlich zu zahlen verpflichtet ist,

hilfsweise zu b) der Unterhaltsanspruch der Beklagten zu 3) auf nachehelichen Unterhalt befristet ist bis zum 31. Dezember 2009.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie halten das Urteil des Amtsgerichts für sachgerecht. Sie behaupten, die Beklagte zu 1) habe den Kläger sehr wohl über deren weiteren Lebensweg informiert. Sie habe ihm auch mitgeteilt, daß sie Erzieherin werden wolle, und habe im übrigen einen Anspruch auf Zahlung von Kindesunterhalt während der Dauer ihrer Ausbildung. Sie könne nicht darauf verwiesen werden, eine Hilfstätigkeit anzunehmen, und sei davon überzeugt, daß der angestrebte Beruf der Erzieherin ihren Neigungen und Fähigkeiten entspreche. Die Beklagte zu 1) habe während des Besuchs der Berufsfachschule Wirtschaft festgestellt, daß sie kein Interesse an der Fachrichtung Wirtschaft habe, und sie an der sozialen Laufbahn von Kindern und Jugendlichen interessiert sei. Sie habe sich daher Anfang 2007 an der Berufsfachschule beworben. Sie habe sich im Zeitraum Januar bis Mai 2007 bei ihrem Berufsberater der Agentur für Arbeit über ihre Ausbildungsmöglichkeiten informiert und beraten lassen und sei dabei in ihrem Entschluß, die Ausbildung zur Sozialassistentin und danach zur Erzieherin zu machen, bestätigt worden. Sie habe keinen BAföG-Antrag falsch ausgefüllt.

Der gemeinsame Sohn S. bedürfe einer besonderen Betreuung durch die Beklagte zu 3). Er leide an starken Aufmerksamkeitsdefiziten und an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens. S. könne daher tagsüber nach der Schule nicht alleine gelassen werden, sondern sie müsse sich um ihn kümmern. Er befinde sich mit 13 Jahren in der Pubertät, was zu weiteren Problemen führe. Er habe z.B. im Februar 2008 eine Scheune in Brand gesetzt und später in der Schule erneut gezündelt. Die Beklagte zu 3) suche derzeit Hilfe und Rat bei der Erziehungsberatungsstelle in W. Eine Vollzeittätigkeit scheide aufgrund der notwendigen umfassenden Betreuung des Sohnes aus. Dieser müsse Ritalin bzw. jetzt ein anderes Medikament einnehmen und befinde sich seit vielen Jahren in ärztlicher Behandlung. Er habe Schwierigkeiten, Anweisungen und Aufträge aufzunehmen und auszuführen. Es komme bisweilen zu Handgreiflichkeiten und Sachbeschädigungen. In der Schule sei S. aufgrund seines negativen Fehlverhaltens ausgeschlossen worden. Er habe Schwierigkeiten, sich an Regeln und Zeiten zu halten; Auswirkungen seien bei ihm unter anderem Lügen, Stehlen, Schwänzen des Schulunterrichts und gelegentlich Rauchen. Nahezu täglich gerate der Sohn mit der Kindesmutter und seiner Schwester in Konfrontation; die Beklagte zu 3) sei situationsbedingt mit seinem Verhalten und Handlungen überfordert. Aktuell komme daher nur die Aufnahme einer Halbtagstätigkeit in Betracht, um die sie sich auch bemühe.

Mit einem anderen Lebenspartner führe sie keinen Haushalt; seit dem Einzug in die jetzige Wohnung lebe sie mit beiden Kindern allein. Sie habe lediglich von März 2006 bis Juli 2006 eine Beziehung gehabt, die beendet worden sei.

Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das beigezogene Verfahren 17 F 3090/03 des Amtsgerichts Wolfsburg, die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vor dem Amtsgericht und dem Senat sowie auf das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 14. Februar 2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 511, 517 ZPO zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Wolfsburg vom 14. Februar 2008 ist bezüglich der Beklagten zu 1) vollständig, im übrigen teilweise begründet.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage und Berufung die Abänderung des im Verfahren 17 F 3090/03 im September 2005 vor dem Amtsgericht Wolfsburg geschlossenen Unterhaltsvergleichs. Grundlage des Vergleichs waren ein Nettoeinkommen des Klägers bei Steuerklasse I von 2.559 € netto (bei Steuerklasse III – aufgrund seiner neuen Eheschließung – von bereinigt rund 2.900 € netto), diverse eheprägende Verbindlichkeiten, die aufgrund des seit dem Jahre 2004 laufenden Insolvenzverfahrens mit monatlichen Pfändungsbeträgen von 413 € berücksichtigt wurden, so daß ein Einkommen von 2.146 € verblieb. Der Kindesunterhalt für die Beklagten zu 1) und zu 2) war dabei mit 128% des Regelbetrages der Regelbetragverordnung und damit pro Kind auf 373 € festgesetzt, sowie eine Halbtagstätigkeit der Beklagten zu 3) mit monatlich 550 € bereinigt in die Unterhaltsberechnung eingestellt worden. Die Einkommensdifferenz ergab 850 €, und der rechnerische Unterhalt für die Beklagten zu 3) damit 364 €.

1. Die Abänderungsklage ist zulässig (§ 323 ZPO), da sich die wesentlichen Verhältnisse aufgrund des Arbeitsplatzwechsels des Klägers und seiner Heirat verändert haben, die Klägerin zu 1) mittlerweile volljährig geworden ist, und auch die Erwerbsverpflichtung der Beklagten zu 3) angesichts des Alters des gemeinsamen Sohnes, des Beklagten zu 2), sowie des ab Januar 2008 geltenden Unterhaltsrechts neu zu bewerten ist.

2. Soweit der Kläger mit seiner Berufung vorträgt, er habe eine Abänderung des Unterhaltsvergleichs bereits ab 1. März 2007 begehrt, liegt kein – möglicherweise unzulässiges – Teilurteil des Amtsgerichts vor. Das Amtsgericht hat, was sich aus dem Tenor und den Gründen ergibt, kein Teilurteil erlassen wollen. Allerdings ist der Antrag, den Vergleich bereits ab März 2007 abzuändern, als zulässige Klageänderung in Form der Klageerweiterung anzusehen (§ 533 ZPO). Die Klageerweiterung ist sachdienlich und stützt sich auf Tatsachen, die ohnehin der Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen sind. Die Abänderung von Vergleichen unterliegt keiner Zeitschranke und kann rückwirkend erfolgen (BGH FamRZ 1990, 989 f = EzFamR ZPO § 794 Nr. 5 = BGHF 7, 216).

3. Soweit der Beklagte seine Arbeitstätigkeit im Herbst 2006 aufgegeben hat, ist hierin angesichts seines bei VW erzielten Einkommens und der Sicherheit des Arbeitsplatzes ein unterhaltsbezogenes Fehlverhalten zu sehen. Anhaltspunkte einer drohenden Kündigung sind nicht ersichtlich. In einem absehbaren Zeitraum von nur wenigen Jahren wäre im laufenden Insolvenzverfahren die vollständige Restschuldbefreiung eingetreten. Der Beklagte war bei Abschluß des Aufhebungsvertrages mit der VW AG rund 41 Jahre alt und muß noch einen erheblichen Zeitraum bis zur Berentung arbeiten. Angesichts der Dauer der Ehe mit der Beklagten zu 3) sowie der Unterhaltsverpflichtung für zwei Kinder war er damit verpflichtet, seine Einkommenssituation möglichst günstig zu gestalten. Da das Insolvenzverfahren bereits im Jahre 2004 eröffnet worden war, war absehbar, daß ein nicht unerheblicher Teil der Abfindung (rund 25.000 €) allein an den Insolvenzverwalter abzuführen sein würde. Absehbar war dabei, daß im Ergebnis allenfalls ein Betrag von rund 85.000 €, nach Begleichung sämtlicher Forderungen, verbleiben würde, der keinesfalls ausgereicht hätte, das Einkommen dauerhaft aufzustocken. Grundsätzlich ist damit, jedenfalls in den nächsten Jahren, das ursprünglich erzielte Einkommen bei der VW AG fortzuschreiben. Auch das gewünschte Zusammenziehen mit seiner neuen Ehefrau rechtfertigt vorliegend nicht die Arbeitsplatzaufgabe, da die Ehefrau in N.-D. nicht durch Berufstätigkeit oder Eigentum gebunden ist.

Selbst wenn man nicht von der Verletzung der Erwerbsobliegenheit durch Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht ausgeht, wäre dennoch der Kläger angesichts der bestehenden Unterhaltsansprüche verpflichtet, für einen bestimmten Zeitraum die Abfindung zur Aufstockung seines bei der VW AG erzielten Einkommens einzusetzen. Einer Abfindung kommt Lohnersatzfunktion zu; sie dient als Ersatz des fortgefallenen Arbeitseinkommens dazu, daß die bisherigen wirtschaftlichen Verhältnisse zumindest eine Zeit lang aufrecht erhalten werden können (vgl. BGH FamRZ 2007, 983 f = EzFamR BGB § 1573 Nr. 28).

a) Der Kläger hatte ausweislich der Verdienstabrechnungen Oktober 2005 bis September 2006 ohne Berücksichtigung der Abfindung ein Bruttoeinkommen von rund 46.395 €. Dabei ist von einem steuer- und sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommen von rund 45.395 € auszugehen, da in geringem Umfange steuerfreie Zuschläge gewährt wurden, und der Kläger im Juli 2006 wegen der Veräußerung von Wertpapieren rund 500 € zusätzlich versteuern mußte. Diese Steuerlast, zumal der entsprechende Gewinn nicht als unterhaltspflichtiges Einkommen zu werten ist, müssen sich die Beklagten nicht entgegen halten lassen.

Bei Steuerklasse III und 2,5 Freibeträgen verbleiben unter Berücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge 31.775 € jährlich netto und damit 2.648 € gerundet im Monat. Das Einkommen hat sich seit Vergleichsschluß deutlich reduziert. Damit ist es nicht mehr gerechtfertigt, 413 € Pfändungen monatlich, die die Gläubiger nicht mehr beanspruchen können, zu Lasten der Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen. Setzt man den pfändungsfreien Betrag als – fiktives – Einkommen an, verbleiben unter Berücksichtigung von vier Unterhaltsberechtigten rund 2.507 €. Fahrtkosten nach H. zur neuen Arbeitsstelle haben die ehelichen Verhältnisse nicht geprägt, so daß es bei dem 5%-Abzug für berufsbedingte Aufwendungen zu verbleiben hat. Damit ist seitens des Beklagten das Einkommen mit 2.382 € anzusetzen.

b) Das tatsächliche Einkommen des Klägers bei der Firma W. im Jahre 2007 betrug ausweislich der Kumulativwerte 2007 25.208 € brutto und 19.781 € netto pro Jahr und damit durchschnittlich 1.648 € gerundet im Monat; nach Abzug von Fahrtkosten von monatlich 187 € (17 km x 2 x 220 Tage : 12 =) 1.461 €. Damit müßte der Kläger monatlich rund 920 € monatlich von seiner Abfindung auf sein tatsächliches Einkommen aufstocken, um über die gleichen Einkünfte wie bei der VW AG zu verfügen.

Soweit ihm im Zeitraum November 2006 bis Mai oder Juni 2008 neben seinem Gehalt monatlich 2.600 € auch im Hinblick auf die bestehenden Unterhaltspflichten aus der Insolvenzmasse ausgezahlt wurden, stand ihm tatsächlich mehr Geld zur Verfügung, als der Kläger bei VW verdient hätte. Angesichts des ihm im Sommer 2008 ausgezahlten Betrages von mehr als 48.000 € könnte der Kläger zumindest bis Dezember 2011 sein Einkommen auf dem alten Einkommensniveau halten.

4. Die Beklagte zu 1) ist im März 2006 volljährig geworden. Ihr steht grundsätzlich ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt zu. Die Beklagte zu 1) besucht die Berufsfachschule Erziehung, Pflege und Therapie mit dem Ziel des Abschlusses einer »Staatlich geprüften Sozialassistentin«. Es handelt sich um eine zweijährige schulische Berufsausbildung. Im Anschluß plant sie die Ausbildung zur Erzieherin. Soweit die Beklagte zu 1) im Zeitraum Sommer 2005 bis Sommer 2006 erfolglos die Höhere Handelsschule mit dem Ziel eines erweiterten Schulabschlusses besucht hat, führt dies nicht zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs. Ein Unterhaltsanspruch wäre dann ausgeschlossen, wenn ein grobes und pflichtwidriges Verhalten des volljährigen Kindes anzunehmen wäre (vgl. BGH FamRZ 2006, 1100 f = FuR 2006, 361). Die Beklagte zu 1) ist im März 2006 volljährig geworden. Eine gewisse Orientierungsphase ist ihr zuzubilligen, da offensichtlich der Besuch der höheren Handelsschule ihren Begabungen und Neigungen nicht entsprochen hat. Das vorgelegte Jahreszeugnis vom 9. Juli 2008 zeigt, daß der nunmehr von ihr gewählte und angestrebte Beruf der Sozialassistentin ihren Neigungen und Fähigkeiten entspricht. Selbst wenn der Kläger imstande wäre, der Beklagten zu 1) eine Ausbildungsstelle bei der VW AG »zu besorgen«, wäre die Beklagte zu 1) daher nicht verpflichtet, die begonnene schulische Ausbildung abzubrechen, um einen Beruf zu erlernen, der ihren Fähigkeiten und Neigungen nicht entspricht. Mit Aufnahme der schulischen Ausbildung am 30. August 2007 besteht daher der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt.

Im Zeitraum März bis Juli 2007 hatte die Beklagte zu 1) Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung. Sie ist keiner Ausbildung nachgegangen, so daß sie verpflichtet war, ihren Unterhaltsbedarf selbst sicherzustellen. Soweit die tatsächlichen Einkünfte hierfür nicht ausgereicht haben, hätte die Beklagte zu 1) vortragen und belegen müssen, daß sie trotz intensiver Bemühungen keine weiteren Einkünfte erzielen konnte. Ein Unterhaltsanspruch für diesen Zeitraum besteht daher nicht.

Da die Beklagte zu 3) keine ausreichenden Einkünfte hat, die sie für den Unterhalt der Beklagten zu 1) einsetzen kann, hat der Kläger den Unterhalt für die Beklagte zu 1) ab September 2007 aus seinem Einkommen aufzubringen.

Mit dem Einkommen von noch 2.382 € bei vier Unterhaltsberechtigten bemißt sich der Bedarf der Beklagten zu 1) nach Rückstufung um eine Stufe ab 30. August 2007 mit 135% der 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle und damit auf 447 €. Damit verbleiben unter Anrechnung des Kindergeldes sowie der BAföG-Leistungen von 192 € noch 101 € Restbedarf für das Jahr 2007.

Ab Januar 2008 ist der Bedarf nach Rückstufung um eine Stufe mit 110% der 4. Altersstufe der neuen Düsseldorfer Tabelle mit 449 € anzusetzen. Unter Berücksichtigung des Kindergeldes und der Ausbildungsbeihilfe verbleibt ein ungedeckter Restbedarf von 103 € bis Juli 2008 und von 83 € ab August 2008.

5. Der Kläger schuldet dem Beklagten zu 2) angesichts des anzunehmenden fiktiven Einkommens bei vier Unterhaltsberechtigten für das Jahr 2007 den Unterhalt mit 135% des Regelbetrages der 3. Altersstufe der Regelbetragverordnung. Damit hätte die Berufung des Klägers keinen Erfolg; es sind weiterhin die tatsächlich titulierten 128% des Regelunterhalts bis Dezember 2007, also die Tabellenbeträge von 373 € bis Juni 2007 und 369 € ab Juli 2007, in die weitere Berechnung einzustellen.

Ab 1. Januar 2008 beträgt der Unterhaltsbedarf 110% des Mindestunterhalts abzüglich hälftigen Kindergeldes und damit 325 € (§§ 1612a, 1612b BGB, § 35 Nr. 4 EGZPO). Damit hat die Berufung auch über den 1. Januar 2008 hinaus keinen Erfolg; es bleibt bei dem titulierten Unterhalt.

6. a) Der Unterhalt der Beklagten zu 3) für das Jahr 2007 richtet sich noch nach dem bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Recht. Damit schuldet der Kläger ihr grundsätzlich Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB. Der Beklagte zu 2) war im Dezember 2007 13 Jahre alt. Bis zur Gesetzesänderung im Dezember 2007 war eine vollschichtige Berufstätigkeit erst mit dem 15. Geburtstag eines Kindes von dem betreuenden Elternteil zu erwarten. Damit ist eine Änderung in der Einkommenssituation der Beklagten zu 3) im Verhältnis zum Vergleichsabschluß im September 2005 nicht ersichtlich, und es ist nach wie vor das Einkommen fiktiv aus einer Teilzeittätigkeit einzustellen.

Soweit der Kläger vorträgt, die Beklagte zu 3) lebe in einer eheähnlichen Gemeinschaft, ist dieser Vortrag unsubstantiiert und nicht unter Beweis gestellt. Die Beklagte zu 3) hat klargestellt, mit keinem Mann zusammenzuleben. Im übrigen ergibt sich aus dem Bescheid der Arbeitsverwaltung vom 27. März 2008, daß die Beklagte zu 3) mit den Beklagten zu 1) und zu 2) und mit keiner weiteren Person zusammenlebt. Die tatsächlichen Einkünfte der Beklagten zu 3) lagen bis Ende 2007 unter dem bereits fiktiv eingestellten Einkommen von 550 € bereinigt.

b) Auch ab Januar 2008 steht der Beklagten zu 3) noch ein Betreuungsunterhaltsanspruch gemäß § 1570 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BGB zu.

Mit § 1570 Abs. 1 BGB n.F. wird der Anspruch auf Betreuungsunterhalt geschiedener Ehegatten vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 (FamRZ 2007, 965 ff = EzFamR BGB § 1570 Nr. 9) zur Frage der Verfassungswidrigkeit der bis zum 31. Dezember 2007 unterschiedlichen Dauer von Unterhaltsansprüchen für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder neu strukturiert. Gemäß § 1570 Abs. 1 BGB hat der betreuende Elternteil künftig drei Jahre lang einen zeitlichen »Basisunterhalt«, der unter der Voraussetzung des § 1570 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB zu verlängern ist, solange dies der Billigkeit unter Berücksichtigung der »Belange des Kindes« entspricht.

Aus der Formulierung »Belange des Kindes« in § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB wird deutlich, daß es sich dabei um kindbezogene Gründe handeln muß. Damit wird auch dem Gedanken Rechnung getragen, daß die zu berücksichtigenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung mit dem Kindeswohl vereinbar sein müssen. Der betreuende Elternteil muß sich nur dann auf eine Fremdbetreuungsmöglichkeit verweisen lassen, wenn dies mit den Kindesbelangen vereinbar ist. Das in § 1569 BGB ausdrücklich verankerte Prinzip der Eigenverantwortung des Unterhaltsbedürftigen hat dort zurückzustehen, wo es das Kindeswohl erfordert. Mit der Feststellung, daß die Verlängerung des Unterhalts der Billigkeit entspricht, steht also zugleich fest, daß eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Aus der Formulierung »soweit und solange« wird deutlich, daß es jedenfalls auf die Verhältnisse des Einzelfalles ankommt. In dem Maße, in dem eine kindgerechte Betreuungsmöglichkeit besteht, kann von dem betreuenden Elternteil die Erwerbstätigkeit erwartet werden. Ist also z.B. zunächst nur eine Teilzeittätigkeit möglich, ist daneben – je nach Bedürftigkeit – auch weiterhin Betreuungsunterhalt zu zahlen. Mit der Neuregelung ist daher keineswegs ein abrupter, übergangsloser Wechsel von der elterlichen Betreuung zur Vollzeiterwerbstätigkeit verbunden; im Interesse des Kindeswohls wird vielmehr auch künftig ein gestufter, an den Kriterien von § 1570 Abs. 1 BGB orientierter Übergang möglich sein (vgl. BGH FamRZ 2008, 1739 ff).

Auch elternbezogene Gründe können dabei bereits eine Rolle spielen. Solche regelmäßig mit geringerem Gewicht zu wertenden, elternbezogenen Gründe können für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts sprechen, wenn die geschiedene Ehe oder die gelebte Familie einen besonderen Vertrauenstatbestand für den Unterhaltsberechtigten geschaffen haben. Solches kann insbesondere dann vorliegen, wenn ein oder mehrere gemeinsame Kinder im Hinblick auf eine gemeinsame Verantwortung beider Eltern gezeugt wurden, was auch nach Auflösung der Ehe oder der Familie für eine Fortdauer der Verantwortung des nicht betreuenden Elternteils sprechen kann. Insoweit ist also regelmäßig auf die individuellen Umstände der Eltern und das Maß ihrer Bindung abzustellen. Im Rahmen der elternbezogenen Gründe kommt allerdings ein weiterer Gesichtspunkt in Betracht, der sich für eine pauschalierende Beurteilung in der Praxis, etwa anhand des Alters des Kindes, anbieten dürfte. Bei der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils ist nämlich stets zu beachten, ob der ihm neben oder nach der Erziehung und Betreuung in staatlichen Einrichtungen verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung des Kindes in Verbindung mit einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen würde, denn selbst wenn ein Kind ganztags in einer öffentlichen Einrichtung betreut und erzogen wird, kann sich bei Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein, vor allem aber vom Alter des Kindes abhängen kann. Viele Kinder benötigen nach einer Ganztagsbetreuung noch in stärkerem Umfang den persönlichen Zuspruch der Eltern, was einen nicht unerheblichen zusätzlichen Betreuungsaufwand erfordern kann, der entsprechend der gesetzlichen Wertung für den Kindesunterhalt in § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB nicht unberücksichtigt bleiben kann. In solchen Fällen ist eine Prüfung geboten, ob, in welchem Umfange und bis zu welchem Zeitpunkt die Erwerbspflicht des unterhaltsberechtigten Elternteils noch eingeschränkt ist. In welchem Umfange die verbleibende Kinderbetreuung neben einer Erwerbstätigkeit im Verhältnis des Unterhaltsberechtigten zum Unterhaltspflichtigen überobligationsmäßig ist, hängt allerdings auch von ihrer früheren Lebensplanung und -gestaltung ab, nämlich davon, ob der Unterhaltsberechtigte auch weiterhin auf eine derartige Aufgabenverteilung vertrauen durfte (BGH aaO Rdn. 102 ff).

Nach § 1570 Abs. 2 BGB besteht die Möglichkeit, die Dauer des Unterhaltsanspruchs zu verlängern, soweit dies im Einzelfall aus Gründen der nachehelichen Solidarität gerechtfertigt ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt, daß es dem Gesetzgeber unbenommen sei, einem geschiedenen Elternteil

» wegen des Schutzes, den die eheliche Verbindung durch Art. 6 Abs. 1 GG erfährt, unterhaltsrechtlich besser zu stellen als einen unverheirateten Elternteil, was sich mittelbar auch auf die Lebenssituation der mit diesem Elternteil zusammenlebenden Kinder auswirken kann. «

Damit sieht § 1570 Abs. 2 BGB eine Möglichkeit vor, den Betreuungsunterhalt im Einzelfall zusätzlich aus Gründen zu verlängern, die ihre Rechtfertigung allein in der Ehe finden. Maßgeblich ist dabei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung. Damit können die konkreten ehelichen Lebensverhältnisse und die damit verbundene nachsorgende eheliche Solidarität zu einer Verlängerung des Betreuungsunterhaltsanspruchs führen. So kann beispielsweise einem Ehegatten, der im Interesse der Kindererziehung seine Erwerbstätigkeit zurückgestellt hat, ein längerer Anspruch auf Betreuungsunterhalt eingeräumt werden als einem Ehegatten, der von vornherein alsbald wieder in den Beruf zurückkehren wollte (vgl. dazu BT-Dr. 16/6980 S. 8 und 9).

Die Beklagte zu 3) hat substantiiert die schwierige Situation des Beklagten zu 2) dargestellt. Daß dieser an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens leidet, hat der Kläger nicht bestritten; dieser Umstand ist im übrigen durch Attest des ehemaligen NLK belegt. Der Kläger selbst trägt vor, über schulische Probleme informiert worden zu sein. Der Sohn ist aggressiv und hat bereits gezündelt. Seine schwerwiegenden Verhaltensauffälligkeiten haben seine Schullaufbahn fast beendet. Die bisherige Medikation hat das schwierige Verhalten kaum positiv beeinflußt. Hinzu kommt, daß Kinder unter Medikamenten oft einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus haben. Die Darstellung der Beklagten zu 3), der Sohn benötige verstärkte Betreuung und Überwachung, ist plausibel und nachvollziehbar und entspricht den medizinischen Erkenntnissen zur Störung des Sohnes. Kinder mit dieser Störung benötigen stärkere Überwachung und Anleitung als gesunde Kinder (vgl. auch OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1947 f). Eine ganztägige Erwerbstätigkeit würde bedeuten, daß der Sohn nach der Schule und in den Ferien sich selbst überlassen bleibt. Dies wäre aus Gründen des Kindeswohls nicht zu rechtfertigen, zumal angesichts der bereits aufgetretenen Schwierigkeiten kein weiteres Risiko eingegangen werden kann. Soweit das Kind M. [der Beklagte zu 2)] nunmehr mit einem anderen Medikament behandelt wird, muß die Wirksamkeit erst abgewartet werden.

Auch elternbezogene Gründe rechtfertigen die weitere Zuerkennung von Betreuungsunterhalt. Trotz des Alters des Sohnes liegt ein deutlich höherer Betreuungs- und Fürsorgeaufwand vor als bei nicht verhaltensauffälligen Kindern. Angesichts der dadurch bedingten zeitlichen und psychischen Belastungen ist die Versorgung des Kindes neben einer Erwerbstätigkeit besonders anstrengend. Die Beklagte zu 3) trägt substantiiert zu den Problemen im Alltag, ständigen Reibereien auch mit der Schwester, gravierenden schulischen Problemen und strafrechtlich relevantem Verhalten vor, die sich auch auf ihre Gesundheit auswirken.

Auch ehebezogene Gründe gebieten die Zuerkennung eines Betreuungsunterhaltsanspruchs über den 1. Januar 2008 hinaus. Es handelt sich um eine Ehe von immerhin zwölf Jahren Dauer bis zur Zustellung des Scheidungsantrages im Jahre 2003 und unter Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten zumindest bis zum 31. Dezember 2007 von 18 Jahren (§ 1578 Abs. 1 S. 3 BGB a.F.). Der Kläger war durchgehend erwerbstätig, die Beklagte zu 3) für die Versorgung des Haushalts und der Kinder zuständig. Sie hat während der Ehe allenfalls geringfügig gearbeitet. Aus dem Versicherungsverlauf der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung B. vom 27. Mai 2008 ergibt sich, daß die Beklagte zu 3) nach der Eheschließung bis Ende 1996 gar nicht und dann von Januar 1997 bis Juni 2001 im Geringverdienerbereich tätig war.

Damit ist davon auszugehen, daß die Versorgung der Kinder bis zur Selbstständigkeit an sich auch der Lebensplanung der Ehegatten entsprach (vgl. Wendl/Pauling, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 4 Rdn. 72 ff).

Allerdings war die Beklagte nicht berechtigt, ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Zwingende gesundheitliche Gründe sind weder substantiiert vorgetragen, noch auch aus dem vorgelegten Attest vom 9. April 2008 ersichtlich. Angesichts des Alters des Beklagten zu 2) ist der Beklagten zu 3) eine Halbtagstätigkeit weiterhin zuzumuten, zumal der Sohn seit Sommer 2008 auf eine »offene Ganztagsschule« geht, d.h. zumindest bis in den Nachmittag hinein beschult wird. Es ist daher weiterhin ein Einkommen aus einer fiktiven Teilzeittätigkeit mit 550 € bereinigt anzusetzen.

c) Im August 2009 wird der Beklagte zu 2) 15 Jahre alt. Ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt scheidet dann aus. Da der Sohn weiterhin mit Medikamenten behandelt wird, deren Wirksamkeit bis dahin optimiert werden kann, ist nicht davon auszugehen, daß er auch mit 15 Jahren noch so umfassend beaufsichtigt werden muß, daß eine Vollzeittätigkeit durch die Beklagte zu 3) nicht ausgeübt werden kann.

Grundsätzlich schuldet der Kläger der Beklagten zu 3) damit noch Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 BGB. Allerdings ist die Beklagte zu 3) mit dem 15. Geburtstag des Beklagten zu 2) verpflichtet, eine Vollzeittätigkeit auszuüben. Es ist davon auszugehen, daß es ihr bei ordnungsgemäßem Bemühen gelingen wird, eine entsprechende Tätigkeit zu finden, zumal sie mittlerweile einige Jahre berufstätig war und noch ein Jahr Zeit hat, weitere Erfahrungen als Teilzeitkraft zu sammeln und sich umfassend zu bewerben. Erhebliche gesundheitliche Einschränkungen sind nicht ersichtlich. Da die Beklagte zu 3) keinen Beruf erlernt hat, kann sie eine Tätigkeit als Kassiererin, »Zimmermädchen«, Hilfsverkäuferin oder im Bereich der Produktion ausüben; allerdings wird sie als ungelernte Kraft im Niedriglohnsektor kein höheres Einkommen als 850 € netto abzüglich 50 € berufsbedingte Aufwendungen und damit 800 € verdienen können. Ein höherer Stundenlohn als 6 € bis 6,50 € sind in der Region Wolfsburg/Gifhorn bei ungelernten weiblichen Arbeitskräften kaum erzielbar.

7. Die neue Ehefrau des Klägers ist im Hinblick auf die drei von ihr »mitgebrachten« Kinder nicht erwerbstätig. Ihr steht ein Familienunterhaltsanspruch gegenüber dem Kläger zu, der sich sowohl auf den Bedarf der anderen Unterhaltsberechtigten als auch die Leistungsfähigkeit des Klägers auswirkt. Schuldet der Unterhaltspflichtige sowohl einem geschiedenen als auch einem neuen Ehegatten Unterhalt, so ist der nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) zu bemessende Unterhaltsbedarf jedes Berechtigten im Wege der Dreiteilung des Gesamteinkommens des Unterhaltspflichtigen und beider Unterhaltsberechtigter zu ermitteln. Schuldet der Unterhaltspflichtige seinem neuen Ehegatten Familienunterhalt, so beeinflußt dieser den Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau nach den fortgeschriebenen ehelichen Lebensverhältnissen, denn auch dadurch wird das dem Pflichtigen verbleibende Einkommen ohne unterhaltsbezogenes Verschulden gemindert. Ließe man dies unberücksichtigt, erhielte die geschiedene Ehefrau höheren Unterhalt, als dem unterhaltspflichtigen Ehemann selbst von seinem Einkommen verbliebe, was mit dem Halbteilungsgrundsatz nicht vereinbar wäre. Dabei kann der anzusetzende Betrag im Rahmen des Familienunterhalts in gleicher Weise wie der Unterhaltsbedarf eines getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten ermittelt werden. Ist nach Abzug des Kindesunterhalts neben einem früheren Ehegatten auch ein neuer Ehegatte unterhaltsberechtigt, führt der so verstandene »Halbteilungsgrundsatz« deswegen dazu, daß dem Unterhaltspflichtigen ein Drittel seines unterhaltsrelevanten Einkommens verbleiben muß, während sich der Unterhaltsbedarf eines jeden unterhaltsberechtigten Ehegatten ebenfalls mit 1/3 bemißt. Ausnahmen von dieser Dreiteilung sind bei unterschiedlicher Rangfolge der Ansprüche (§ 1609 Nr. 2, 3 BGB) nicht schon im Rahmen der Bedarfsbemessung, sondern erst im Rahmen der Leistungsfähigkeit geboten und wirken sich nur dann aus, wenn ein Mangelfall vorliegt (BGH FamRZ 2008, 1911). Der Unterhaltsbedarf der Beklagten zu 3) ist damit mit der sog. Drittelmethode zu berechnen.

8. Da nach der weiterentwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den sich wandelnden ehelichen Verhältnissen auch neu hinzukommende Ehepartner und ihre Unterhaltsansprüche bereits beim Bedarf zu berücksichtigen sind, ist auch der auf der neuen Ehe beruhende Splittingvorteil in die Unterhaltsberechnung einzubeziehen. Insbesondere wird dadurch der neuen Ehe nicht der ihr zustehende Steuervorteil entzogen, denn mit der neuen Ehe steigt zwar infolge des Splittingvorteils das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen an; zugleich führt der hinzugekommene Unterhaltsbedarf aber zu einer Kürzung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten. Der im Verhältnis zum neuen Ehegatten zu berücksichtigende Splittingvorteil nimmt deswegen im Ergebnis lediglich die Kürzung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten teilweise zurück. Damit ergibt sich folgende Rechnung:

a) März bis Juni 2007

Das Einkommen des Klägers bei Steuerklasse III und 2,5 Kinderfreibeträgen unter Berücksichtigung des pfändbaren Anteils beläuft sich auf 2.382 € und unter Berücksichtigung von 5% berufsbedingten Aufwendungen auf rund 2.263 €. Zieht man den titulierten Tabellenunterhalt für den Beklagten zu 2) mit 373 € und den Erwerbstätigenbonus mit rund 270 € ab, verbleibt ein Einkommen von rund 1.620 €.

Seitens der Beklagten zu 3) ist das Einkommen mit 550 € bereinigt abzüglich rund 79 € Erwerbstätigenbonus und damit rund 471 € in die Unterhaltsberechnung einzustellen.

Die Ehefrau des Klägers hat keine Einkünfte.

Damit beträgt das Gesamteinkommen rund 2.091 € und der Bedarf des Klägers, seiner Ehefrau und der Beklagten zu 3) jeweils rund 697 € (1/3 des Gesamteinkommens).

Lebt der Pflichtige mit seinem zweiten Ehepartner zusammen, ist für die Unterhaltsberechnung die Ersparnis durch dieses Zusammenleben zu berücksichtigen (vgl. BGH FamRZ 2008, 594 ff). Soweit bei der Unterhaltsberechnung nur der Pflichtige und ein Bedürftiger beteiligt sind, erfolgt dies am einfachsten durch die Reduzierung des Selbstbehalts des Pflichtigen. Die Ersparnis wird dabei teilweise mit insgesamt 25% angesetzt. Bei drei Beteiligten, von denen nur zwei zusammenleben, ist eine Berücksichtigung der Ersparnis allein durch Kürzung des Selbstbehalts nicht möglich, weil sie ansonsten beiden gleichrangigen bedürftigen Ehegatten in gleicher Höhe zugute kommen würde. Im übrigen wirkt sich das Zusammenleben und die damit einhergehende Ersparnis bereits beim Bedarf und nicht erst bei der Leistungsfähigkeit aus. Die Berücksichtigung kann daher nur in der Weise erfolgen, daß einerseits der Eigenbedarf des Pflichtigen und der Bedarf des mit ihm zusammenlebenden zweiten Ehegatten um den gleichen Prozentsatz gekürzt und der Bedarf des ersten Ehegatten um diesen Prozentsatz angehoben wird. Bleibt man bei den bisher angesetzten (2 x 12,5% =) 25%, entspräche dies etwa einer Kürzung des Eigenbedarfs des Pflichtigen und des Bedarfs des zweiten Ehegatten um jeweils 5% und einer Erhöhung des Bedarfs des ersten Ehegatten um 10% (vgl. Gutdeutsch, FamRZ 2007, 778 ff).

Damit erhöht sich der Bedarf der Beklagten zu 3) um 10% auf rund 767 €; der Bedarf der Ehefrau des Klägers reduziert sich auf rund 662 €. Unter Berücksichtigung der – fiktiven – Einkünfte der Beklagten zu 3) (bereinigt 471 €) verbleibt ein Restbedarf von rund 295 €, so daß die Berufung des Klägers insoweit Erfolg hat.

b) Juli bis 29. August 2007

In diesem Zeitraum ist der Bedarf für den Beklagten zu 2) wegen der Änderung der Regelbetragverordnung mit 369 € in die Unterhaltsberechnung einzustellen, so daß ein Einkommen von rund 1.623 € seitens des Klägers verbleibt. Das Gesamteinkommen des Klägers und beider Ehefrauen beträgt rund 2.095 €, ein Drittel davon somit rund 698 €. Unter Berücksichtigung des Synergieeffekts hat die Beklagte damit einen Bedarf von rund 768 € und einen Restbedarf unter Berücksichtigung ihrer eigenen Einkünfte von rund 297 €; die Ehefrau des Klägers hat einen Bedarf von rund 663,00 €.

c) 30. August bis Dezember 2007

Der Bedarf für die Beklagte zu 1) ist mit 101 € zu berücksichtigen. Zwar ist der Unterhalt durch das erstinstanzliche Urteil auf einen geringeren Betrag festgesetzt worden, und die Beklagte zu 2) hat dieses Urteil nicht angegriffen; allerdings liegt angesichts der Berufung des Klägers keine rechtskräftige Titulierung vor. Im übrigen würden sich der Bedarf der Beklagten zu 3) und der Ehefrau des Klägers bei Berücksichtigung lediglich der durch das Amtsgericht errechneten Unterhaltsbeträge erhöhen, was jedenfalls dann unbillig ist, wenn (wie hier, vgl. dazu Ziffer 10), Unterhalt an die Beklagte zu 1) mangels Leistungsfähigkeit des Klägers nicht zu zahlen ist.

Es verbleiben unter weiterer Berücksichtigung von rund 221 € Erwerbstätigenbonus auf seiten des Klägers rund 1.537 € und damit ein Gesamteinkommen von rund 2.008 €. Dies ergibt nach der Drittelrechnung einen Bedarf des Klägers und seiner Ehefrau sowie der Beklagten zu 3) von rund 669 € und aufgrund des Synergieeffekts seitens der Beklagten zu 3) von rund 736 € und seitens der Ehefrau des Klägers von rund 636 €. Unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte stehen der Beklagten zu 3) damit noch rund 265 € monatlich zu; die Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg.

d) Januar 2008 bis Juli 2008

Eine Änderung ergibt sich, da für den Beklagten zu 2) lediglich noch der Zahlbetrag mit 312 € einkommensmindernd abzusetzen ist. Gemäß § 1612b BGB n.F. ist das Kindergeld bedarfsdeckend anzurechnen. Für die Beklagte zu 1) verbleibt ein Restbedarf von 103 €, so daß unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenbonus von 228 € ein Resteinkommen des Klägers von rund 1.584 € und damit Gesamteinkünfte von rund 2.055 € verbleiben. Dies ergibt nach der Drittelrechnung einen Bedarf des Klägers und seiner Ehefrau sowie der Beklagten zu 3) von rund 685 € und aufgrund des Synergieeffekts seitens der Beklagten zu 3) von rund 754 € und seitens der Ehefrau des Klägers von rund 651 €. Unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte stehen der Beklagten zu 3) damit noch rund 283 € monatlich zu; die Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg.

e) August 2008 bis August 2009

Für die Beklagte zu 1) sind noch 83 € Unterhaltsbedarf zu berücksichtigen, so daß unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenbonus von 267 € ein Resteinkommen des Klägers von rund 1.601 € und damit Gesamteinkünfte von rund 2.072 € verbleiben. Dies ergibt nach der Drittelrechnung einen Bedarf des Klägers und seiner Ehefrau sowie der Beklagten zu 3) von rund 691 €, und aufgrund des Synergieeffekts seitens der Beklagten zu 3) von rund 760 € und seitens der Ehefrau des Klägers von rund 656 €. Unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte stehen der Beklagten zu 3) damit noch rund 289 € monatlich zu; die Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg.

f) Ab September 2009

Ab September 2009 sind seitens der Beklagten zu 3) netto 800 € (bereinigt um berufsbedingte Aufwendungen) und nach Abzug des Erwerbstätigenbonus rund 686 € in die Unterhaltsberechnung einzustellen, so daß sich Gesamteinkünfte von rund 2.287 € errechnen. Dies ergibt nach der Drittelrechnung einen Bedarf des Klägers und seiner Ehefrau sowie der Beklagten zu 3) von rund 762 € und aufgrund des Synergieeffekts seitens der Beklagten zu 3) von rund 838 € und seitens der Ehefrau des Klägers von rund 724 €. Unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte stehen der Beklagten zu 3) damit noch rund 152 € monatlich zu; die Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg.

9. a) Bis zum 31. Dezember 2007 geht die Beklagten zu 3) der neuen Ehefrau im Rang vor (§ 1582 BGB a.F.). Die Beklagte zu 1) ist auch nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage nicht nur den Beklagten zu 2) und zu 3) nachrangig berechtigt, sondern auch der Ehefrau des Klägers (§ 1609 Abs. 1 und 2 BGB a.F.).

b) Für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. August 2009 gilt die Beklagte zu 3), da sie das gemeinsame eheliche Kind betreut, und ihr nach wie vor als betreuender Elternteil Betreuungsunterhalt zusteht, so daß sie im Rang der neuen Ehefrau des Klägers vorgeht (§ 1609 Nr. 2, 3 BGB n.F.).

c) Die Frage, ob die neue Ehefrau des Klägers ab September 2009 gleichrangig neben der Beklagten zu 3) unterhaltsberechtigt ist, hängt davon ab, ob man die Ehe des Klägers mit der Beklagten zu 3) als lang iSv § 1609 Nr. 2 BGB n.F. bewertet.

Als Ehedauer iSd §§ 1609 Nr. 2, 1582 BGB gilt, wie bei § 1579 Nr. 1 BGB, die Zeit von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Ehescheidungsantrages. Kindererziehungszeiten sind zwar – anders als nach dem alten Recht – nicht hinzuzurechnen, sind jedoch nach der Gesetzesbegründung bei der Wertung zu berücksichtigen. Aus dem Verweis auf die in § 1578b Abs. 1 S. 2, 3 BGB n.F. formulierten ehebedingten Nachteile, welche auf die Kindererziehung, die Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe und auf die Dauer der Ehe hinweisen, ergibt sich, daß für die Bewertung einer Ehe als lang nicht nur die Zeitdauer, sondern auch die entstandenen Nachteile für die Selbsterhaltungsfähigkeit wichtig sind. Im Ergebnis kann damit eine objektiv kurze Ehe als lang und eine objektiv lange Ehe als kurz gewertet werden. Die tatsächliche Dauer kann aber bei besonders langen oder besonders kurzen Ehen dennoch bedeutsam sein. Dabei hängt auch die Bedeutung der objektiven Dauer der Ehe vom Alter des bedürftigen Ehegatten ab. So soll bei einer Ehedauer von 20 Jahren bei einer Trennung im Alter von 40 Jahren der Ehedauer eine geringere Bedeutung für die zukünftige Erwerbsfähigkeit zukommen, da der Berechtigte noch in der ersten Hälfte seines Berufslebens steht. Interessen des Unterhaltspflichtigen werden dabei nicht erfaßt, da die Rangfolge – im Gegensatz zur zeitlichen Begrenzung – nicht den Interessen des Unterhaltspflichtigen, sondern denen der konkurrierenden Unterhaltsberechtigten dient (vgl. insgesamt Wendl/Gutdeutsch, aaO § 5 Rdn. 114 f).

Im vorliegenden Fall haben die Parteien von der Eheschließung bis zur Trennung tatsächlich 11 Jahre zusammen gelebt, bis zur Zustellung des Scheidungsantrages am 8. Mai 2003 rund 12 Jahre. Zwar ist die Vorschrift des § 1578 Abs. 1 S. 3 BGB, wonach die Zeit der Kinderbetreuung der Ehedauer gleichsteht, mit dem neuen Unterhaltsrecht entfallen. Allerdings genießen die betroffenen unterhaltsberechtigten Ehefrauen zumindest für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007 Bestandsschutz, so daß bei der Betreuung von zum Teil noch minderjährigen Kindern zumindest die Zeit bis zum 31. Dezember 2007 der Ehedauer hinzuzurechnen ist. Damit ergibt sich bereits eine Ehedauer von 16,5 Jahren. Zwar war die Beklagte zu 3) am 31. Dezember 2007 erst 37 Jahre alt, so daß sie durchaus ihre künftige Erwerbsfähigkeit noch verbessern kann; andererseits ist ihr zumindest bis August 2009 wegen Betreuung des verhaltensauffälligen minderjährigen Kindes M. die Ausübung einer Vollzeittätigkeit nicht zuzumuten. Im übrigen hatte die Beklagte zu 3) angesichts der geführten Hausfrauenehe und der Versorgung der minderjährigen Kinder nicht die Möglichkeit, während der Ehe ihre Erwerbsfähigkeit durch eine Ausbildung oder ähnliches zu verbessern.

Damit ist die Ehe des Klägers mit der Beklagten zu 3) als lang iSd §§ 1609 Nr. 2, 1578b BGB zu qualifizieren; auch ab September 2009 gehen die Unterhaltsansprüche der Beklagten zu 3) den Ansprüchen der Ehefrau des Klägers vor.

d) Gemäß § 1609 Nr. 4 BGB n.F. ist die Beklagte zu 1) als volljährige und nicht privilegierte Tochter sowohl den Beklagten zu 2) und zu 3) als auch der Ehefrau des Klägers gegenüber nachrangig berechtigt. Damit stellt sich gemäß § 1609 Nr. 1 bis 4 BGB n.F. die Rangfolge wie folgt dar: Beklagter zu 2), Beklagte zu 3), Ehefrau des Klägers, Beklagte zu 1).

10. a) 2007

Für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007 kann der Kläger den Unterhaltsbedarf der Beklagten zu 2) und zu 3) decken, da ihm unter Berücksichtigung dieser Unterhaltslasten mehr als 1.500 € verbleiben. Unterhalt für die Beklagte zu 1) kann er angesichts des angemessenen Selbstbehalts von 1.100 € gegenüber der Beklagten zu 1) mangels Leistungsfähigkeit nicht zahlen. Zieht man von dem bereinigten Einkommen von 2.263 € den Tabellenbetrag für den Beklagten zu 2) mit 373 € bzw. 369 € sowie die Unterhaltsbeträge der Beklagten zu 3) zwischen 265 € bis 297 € und der Ehefrau des Klägers zwischen 663 € und 636 € ab, verbleibt ein Resteinkommen von unter 1.100 €.

b) Ab 2008

Auch für den Zeitraum ab 1. Januar 2008 kann der Kläger die Ansprüche der bevorrechtigten Beklagten zu 2) und zu 3) vollständig decken; für den Unterhalt der Beklagten zu 1) ist er nicht mehr leistungsfähig. Zieht man von dem bereinigten Einkommen von 2.263 € den Tabellenbetrag für den Beklagten zu 2) mit 312 € (Zahlbetrag) sowie die Unterhaltsbeträge der Beklagten zu 3) zwischen 152 € bis 289 € und der Ehefrau des Klägers zwischen 651 € und 724 € ab, verbleibt ein Resteinkommen von über 1.000 €, jedoch stets unter 1.100 €.

11. Zu Recht hat das Amtsgericht den Unterhalt der Beklagten zu 3) bis zum 31. Dezember 2011 befristet. Bereits die bis zum 31. Dezember 2007 geltende Rechtslage sah in §§ 1573, 1578 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. eine Möglichkeit zur zeitlichen Begrenzung des Aufstockungsunterhalts vor, soweit insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig war. Dabei hat der Bundesgerichtshof bei der Subsumtion unter diese Ausnahmetatbestände nicht mehr entscheidend auf die Ehedauer, sondern darauf abgestellt, ob sich eine nacheheliche Einkommensdifferenz, die den Anspruch auf Aufstockungsunterhalt begründen könnte, als ein ehebedingter Nachteil darstellt, der einen dauerhaften unterhaltsrechtlichen Ausgleich zugunsten des bedürftigen Ehegatten rechtfertigen könnte. Schon nach dieser früheren Rechtslage bot der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach §1573 Abs. 2 BGB deswegen keine – von ehebedingten Nachteilen unabhängige – Lebensstandardgarantie im Sinne einer fortwirkenden Mitverantwortung. War die nacheheliche Einkommensdifferenz nicht auf ehebedingte Nachteile, sondern etwa darauf zurückzuführen, daß beide Ehegatten schon vorehelich infolge ihrer Berufsausbildung einen unterschiedlichen Lebensstandard erreicht hatten, konnte es im Einzelfall dem unterhaltsberechtigten Ehegatten nach einer Übergangszeit zumutbar sein, auf einen Lebensstandard nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu verzichten und sich statt dessen mit dem Lebensstandard zu begnügen, den er auch ohne die Ehe erreicht hätte (BGH FamRZ 2007, 1289, 1294 f).

Diese Rechtsprechung ist in die Neuregelung des § 1578b BGB zum 1. Januar 2008 eingeflossen. Nach § 1578b Abs. 2 BGB ist der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege und Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre; dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche ehebedingten Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben. Maßgebend ist deswegen darauf abzustellen, ob im Zeitpunkt der Entscheidung des Tatrichters ehebedingte Nachteile absehbar sind.

Weil § 1578b BGB – wie die früheren Vorschriften der §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 S. 2 BGB – als Ausnahmetatbestand von einer unbefristeten Unterhaltspflicht konzipiert ist, trägt der Unterhaltsverpflichtete die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, die zu einer Befristung oder Beschränkung des nachehelichen Unterhalts führen können (BT-Dr. 16/1830 S. 20). Hat der Unterhaltspflichtige allerdings Tatsachen vorgetragen, die – wie die Aufnahme oder Fortführung einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit in dem vom Unterhaltsberechtigten erlernten oder vor der Ehe ausgeübten Beruf – einen Wegfall ehebedingter Nachteile und damit eine Begrenzung des nachehelichen Unterhalts nahe legen, obliegt es dem Unterhaltsberechtigten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die gegen eine Unterhaltsbegrenzung oder für eine längere »Schonfrist« für die Umstellung auf den Lebensstandard nach den eigenen Einkünften sprechen (BGH FamRZ 2008, 1325 ff = FuR 2008, 401 = EzFamR BGB § 1579 Nr. 50; 2008, 1911 ff).

Die Frage der Befristung nach neuem Recht richtet sich nach § 1578b Abs. 1 und 2 BGB. Es sind die gleichen Kriterien heranzuziehen wie bei der Frage, ob es sich um eine lange Ehe iSd § 1609 Nr. 2 BGB n.F. handelt. Die Beklagte zu 3) muß den gemeinsamen Sohn aufgrund dessen Verhaltensauffälligkeiten zumindest bis zum 15. Lebensjahr intensiv betreuen und versorgen. Angesichts der geführten Hausfrauenehe liegen ehebedingte Nachteile auf der Hand. Zwar war die Beklagte zu 3) bei Scheidung im Jahre 2005 erst 35 Jahre alt und hatte bei Eheschließung bereits ein Kleinkind aus einer anderen Beziehung und keinen Beruf erlernt; allerdings ist das zweite Kind im Jahre 1994 geboren. Damit hatte die Beklagte zu 3) objektiv kaum eine Möglichkeit, ihre Erwerbssituation zu verbessern; zumindest haben beide Eheleute sich auf diese Art der Eheführung eingelassen. Den Nachteil, nämlich schlechtere Berufschancen, hat alleine die Beklagte zu 3) zu tragen. Angesichts der Gesamtsituation und der Dauer der Ehe kommt damit eine Befristung vor dem 31. Dezember 2011 jedenfalls nicht in Betracht.

12. Damit haben die Berufung und Klagerweiterung hinsichtlich der Beklagten zu 1) vollständigen, hinsichtlich des Beklagten zu 2) keinen, und hinsichtlich der Beklagten zu 3) teilweise Erfolg.

13. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711.

Die Revision ist gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen zum Ehegattenunterhalt angesichts der Gesetzesänderung zuzulassen.

OLG Braunschweig, Urteil vom 02.12.2008
2 UF 29/08

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