OLG Düsseldorf: Erwerbstätigkeit neben der Betreuung eines Kindes

Wird eine Erwerbstätigkeit neben der Betreuung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, tatsächlich ausgeübt, kommt der Abzug eines Betreuungsbonus oder die Teilanrechnung der Einkünfte nach § 1577 Abs. 2 BGB im Regelfall nicht in Betracht. Das gilt auch dann, wenn die Tätigkeit bereits im Trennungsjahr aufgenommen wurde.

…wird der Beschluss des Amtsgerichts Oberhausen vom 30.6.2009 auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin im Umfang der Prozesskostenhilfebewilligung für den Antrag zu 2) dahin abgeändert, dass der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für eine Unterhaltsforderung in Höhe von
985 € für die Monate Oktober und November 2008,
668 € für den Monat Dezember 2008 und
328 € für die Zeit ab Januar 2008
(abzüglich des auf den Trennungsunterhalt entfallenden Anteils der in der Klageschrift aufgeführten geleisteten Zahlungen)
bewilligt wird.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat im geringen Umfang Erfolg.

Nach summarischen Sachverhaltsprüfung errechnet sich die Höhe des geschuldeten Trennungsunterhalts wie folgt:

10 – 11/08 12/08 ab 1/09
Nettoeinkommen Antragsgegner 4.013 € 4.013 € 3.619 €
anteilige Est – Erstattung 470 € 470 € 470 €
Vorsorgeaufwendungen -1.363 € -1.363 € -1.363 €
Aufwendungspauschale -150 € -150 € -150 €
Kindesunterhalt -439 € -439 € -439 €
Erwerbsanreiz (1/7) -362 € -362 € -305 €
anrechenbares Einkommen 2.169 € 2.169 € 1.832 €

Erwerbseinkommen Antragstellerin 0 € 788 € 1.200 €
Aufwendungspauschale 0 € -50 € -60 €
Erwerbsanreiz (1/7) 0 € -105 € -163 €
Nutzungsvorteil Pkw 200 € 200 € 200 €
anrechenbares Einkommen 200 € 833 € 1.177 €

rechnerischer Unterhaltsanspruch 985 € 668 € 328 €

1)

Der Antragsgegner erzielt ein Nettoeinkommen von 4.500 €. Für die fiktive Anrechnung eines höheren Einkommens besteht kein Anlass. Die Einkommensreduzierung um 500 € ab August 2008 erfolgte nach dem Vortrag des Antragsgegners aufgrund der schlechten Ertragslage des I. S. mbH, was durch ein Schreiben der P. B.- und T. GmbH bestätigt wird (Bl. 45 d.A.). Dies erscheint in Anbetracht der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht unglaubhaft und wird von der Antragstellerin auch nicht bestritten. Anhaltspunkte für ein unterhaltsrechtlich mutwilliges Verhalten sind somit nach Aktenlage nicht ersichtlich.

Das zu versteuernde Einkommen beträgt 4.871,77 €, weil dem Grundgehalt noch die Zahlung der Intertrans GmbH auf eine Unfallversicherung (136,95 €) und der Nutzungsvorteil für einen Pkw (234,82 €) zuzuschlagen sind.

Im Jahr 2008 wurde das Einkommen des Antragsgegners noch nach Lohnsteuerklasse III mit 1,5 Kinderfreibeträgen versteuert. Die Höhe des Nettoeinkommens schätzt der Senat (ohne den Nutzungsvorteil für den Pkw) auf 4.013 €. Im Jahr 2009 ist das Einkommen nach Lohnsteuerklasse I mit 0,5 Kinderfreibeträgen zu versteuern; das Nettoeinkommen sinkt auf 3.854,01 € – 234,82 € (Nutzungsvorteil) = (gerundet) 3.619 €.

Dem Einkommen wurde eine monatsanteilige Einkommensteuererstattung von 470 € zugeschlagen, weil der Antragsgegner dem Vortrag der Antragstellerin zu diesem Punkt nicht substantiiert entgegengetreten ist.

In Abzug gebracht wurden die mit Schriftsatz des Antragsgegners vom 26.6.2009 (Bl. 42 f. d.A.) konkret dargelegten Vorsorgeverwendungen in Höhe von 1.363 €.

2)

Für die Antragstellerin wurde ab Januar 2009 ein Arbeitseinkommen von 1.200 € in die Unterhaltsberechnung eingestellt. Solange die Antragstellerin zur Höhe ihres Weihnachts- und Urlaubsgeldes nichts vorträgt, besteht kein Anlass, von einem geringeren Einkommen auszugehen.

Der Bezug des Einkommens begann im Dezember 2008. Da das Einkommen im Dezember 2008 noch nach Lohnsteuerklasse V zu versteuern war, verringert sich das Nettoeinkommen auf geschätzte 833 €.

3)

Der Antragstellern ist weiter ein Nutzungsvorteil für das in ihrem Besitz befindliche Fahrzeug, den der Senat – mangels näherer Angaben – auf 200 € schätzt, zuzurechnen.

Sie nutzt unstreitig ein Fahrzeug, dass ihr vom Antragsgegner zu Verfügung gestellt wurde und ist der Auffassung, durch Schenkung Eigentümerin dieses Fahrzeugs geworden zu sein. Hierzu müsste die behauptete (zunächst gem. § 518 Abs. 1 Satz 1 BGB formnichtige) Schenkung, die der Antragsgegner bestreitet, jedoch auch dinglich vollzogen worden sein (§ 518 Absatz 2 BGB), z.B. durch die Übergabe der Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Fahrzeugbrief). Ob dies erfolgt ist, trägt die Antragstellerin jedoch nicht vor. Nach summarischer Sachverhaltswürdigung ist deshalb davon auszugehen, dass das aus dem Eigentum folgende Nutzungsrecht nicht der Antragstellerin zusteht, sondern der I. GmbH. Auf Seiten der Antragstellerin muss folglich für die Nutzung des Fahrzeugs ein geldwerter Vorteil in die Unterhaltsberechnung eingestellt werden.

5)

Das Einkommen der Antragstellerin ist vollständig in die Unterhaltsberechnung einzustellen.

a)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats indiziert die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit neben der Betreuung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, die Vereinbarkeit dieser Tätigkeit mit den Belangen des Kindes i.S.d. § 1570 Abs. 1 BGB. Der Abzug eines Betreuungsbonus oder eine Teilanrechnung der tatsächlich erzielten Einkünfte (nach § 1577 Abs. 2 BGB) kommt deshalb im Regelfall nicht in Betracht (vgl. Beschluss vom 12.8.2009 – II-8 WF 73/09).

Eine tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit ist nur dann als unzumutbar bzw. überobligatorisch anzusehen, wenn derjenige, der die Tätigkeit ausübt, hierzu unterhaltsrechtlich nicht verpflichtet ist. Der Umfang der individuell geschuldeten Erwerbstätigkeit neben der Betreuung eines Kindes kann seit dem 1.1.2008 jedoch nicht mehr nach dem Alter des Kindes oder anderen Kriterien pauschal bestimmt werden, sondern orientiert sich an den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 18.3.2009, Az. XII ZR 74/08). Mit der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit zeigt der kinderbetreuende Ehegatte im Regelfall, dass diese Tätigkeit mit der Pflege und Erziehung der Kinder konkret vereinbar ist und in ihrem Umfang der Billigkeit i. S. d. § 1570 BGB entspricht. Das Ansinnen, eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als überobligatorisch zu bewerten und mit einer Teilanrechnung oder dem Abzug eines Betreuungsbonus zu prämieren, wird deshalb regelmäßig im Gesetz keine Stütze mehr finden und kann allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden.

Auch der Bundesgerichtshof wertet – wie der erkennende Senat – die tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit als Indiz dafür, dass diese Erwerbstätigkeit im konkreten Einzelfall mit der Betreuung des Kindes vereinbar ist. Lediglich im Hinblick auf besondere Umstände – der Einbindung der Eltern der Unterhaltsberechtigten in die Kindesbetreuung – und auf § 1570 Abs. 2 BGB wurde in einem Einzelfall die Bewertung einer Erwerbstätigkeit als überobligatorisch nicht beanstandet (BGH, Urteil vom 17.6.2009 – XII ZR 102/08).

Im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt werden jedoch außergewöhnliche Umstände, die die Erwerbstätigkeit der Antragstellerin unzumutbar oder überobligatorisch erscheinen lassen könnten, nicht vorgetragen und sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.

b)

Auch die Beschränkung der Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Ehegatten nach der Trennung durch § 1361 Abs. 2 BGB ist nicht pauschal bestimmbar, sondern richtet sich nach dem individuellen Schutzbedürfnis des Unterhaltsberechtigten und dessen Bedürfnis, die Zerrüttung der Ehe nicht durch eine vorschnelle Umgestaltung der Lebensverhältnisse zu vertiefen. Wenn jedoch der Unterhaltsberechtigte selbst die Trennung herbeigeführt hat und danach freiwillig vor Ablauf des Trennungsjahres eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, kann § 1361 Abs. 2 BGB seinen Schutzzweck nicht mehr erfüllen. Die Lebensverhältnisse während des Zusammenlebens können nicht mehr erhalten werden, weil sie sich durch die freiwillige Erwerbstätigkeit bereits verändert haben, und auch das besondere Schutzbedürfnis des vormals haushaltsführenden Ehegatten ist – jedenfalls in dem Umfang, in dem die freiwillig aufgenommene Tätigkeit ausgeübt wird – entfallen.  Einer Bewertung der Tätigkeit als unzumutbar oder überobligatorisch würde bei dieser Sachlage die innere Rechtfertigung fehlen.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.12.2009
II-8 WF 155/09

AG Oberhausen, Beschluss vom 30.06.2009

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