OLG Stuttgart: Arbeitsplatzrisiko trägt der Berechtigte

  1. Konnte der Unterhaltsberechtigte seinen Unterhalt (teilweise) durch eine angemessene Erwerbstätigkeit nachhaltig sichern (§ 1573 Absatz 4 BGB), trägt er das allgemeine Arbeitsplatzrisiko.
  2. Der Verlust einer solchen Erwerbstätigkeit berührt einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt, der bereits zuvor bestanden hat, nicht. Bedarfsprägende spätere Entwicklungen sind zu berücksichtigen, sodass eine Abänderung des Aufstockungsunterhaltes möglich ist.
  3. Allein mit der Behauptung, der unterhaltsberechtigte Ehegatte habe keine ehebedingten Nachteile erlitten, kommt der Unterhaltspflichtige im Rahmen des § 1578b BGB seiner primären Darlegungslast nicht nach.
  4. Die sekundäre Darlegungslast setzt regelmäßig besseres Wissen der nicht darlegungsbelasteten Partei voraus (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 1260, 1270).
  5. Haben die Ehegatten lange vor dem 01.01.2008 geheiratet und ihre Ehe im Hinblick auf die damals geltenden gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse ausgestaltet, hat das mit zunehmender Ehedauer wachsende Vertrauen in einen unbegrenzten Unterhaltsanspruch in die nach § 1578b BGB vorzunehmende Billigkeitsabwägung einzufließen.

Tenor

1.Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des Amtsgerichts Calw vom 22. Februar 2011, Az. 6 F 350/08, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

In Abänderung des Prozessvergleichs des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2006, Az. 17 UF 201/05, wird der Kläger verurteilt, folgenden monatlichen nachehelichen Unterhalt an die Beklagte zu bezahlen:
– Für das Jahr 2008 monatlich 271,00 EUR
– für Januar 2009 bis einschließlich August 2009 409,00 EUR
– für September 2009 bis einschließlich August 2010 448,00 EUR
– für September 2010 454,00 EUR
– für Oktober 2010 bis Dezember 2010 393,00 EUR
– ab Januar 2011 200,00 EUR

2. Im Übrigen werden die Klage und die Widerklage abgewiesen.

3. Die weitergehenden Berufungen werden zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert Berufung Kläger: bis 4.000,00 EUR

Streitwert Berufung Beklagte: bis 7.000,00 EUR

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Abänderung eines vor dem Senat am 17.01.2006 (Az. 17 UF 201/05) abgeschlossenen Vergleichs, in dem sich der Kläger verpflichtet hat, an die Beklagte neben Unterhaltsrückständen ab März 2006 einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 600,00 EUR zu bezahlen.

Der am … 1945 geborene Kläger und die am … 1951 geborene Beklagte haben 1978 geheiratet. Aus der im November 2000 geschiedenen Ehe sind die Kinder G. (geb. 21.04.1980), P. (geb. 17.03.1983) und T. (geb. am 09.03.1985) hervorgegangen. Der Scheidungsantrag wurde im Mai 1999 rechtshängig.

Die Beklagte hat die höhere Handelsschule besucht; der Schulbesuch war zugleich mit einer kaufmännischen Ausbildung verbunden. Nach der Schule arbeitete die Beklagte zunächst als Stenokontoristin und ging dann als Au-pair nach England, um ihre Sprachkenntnisse auszubauen. Nach ihrer Rückkehr war sie etwa acht Jahre bei der Firma … beschäftigt, bevor sie mit der Geburt des ersten Kindes ihre Berufstätigkeit aufgegeben hat.

Nach der Trennung im Jahr 1999 ließ sich die damals 48-jährige Beklagte zur Sekretärin umschulen und begann am 03.06.2000 eine Tätigkeit bei der Firma …; dort erhielt sie ein Nettoeinkommen von etwa 1.600 EUR monatlich. Vom 01.07.2001 bis September 2007 war die Beklagte bei der Fa. … beschäftigt. Ihr durchschnittlich erzieltes Nettoeinkommen betrug zuletzt 2.220,00 EUR (vgl. Schriftsatz Kläger vom 16.10.2010, Bl. 59 d.A., Protokoll vom 03.12.2008, Bl. 78 d.A.). Aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung im September 2007 erhielt die Beklagte eine Abfindung von 22.112,08 EUR netto (vgl. Septemberabrechnung 2007, Bl. 63 d.A.). Ab Oktober 2007 erhielt die Beklagte Arbeitslosengeld von 1.479,90 EUR monatlich (vgl. Arbeitslosengeldbescheid, Bl. 39 d.A.). Zum Januar 2009 nahm sie eine Teilzeittätigkeit bei der Fa. … auf (75 %). Ab 01.11.2009 konnte sie ihre Tätigkeit – befristet – auf 100 % (2.200,00 EUR brutto) aufstocken. Das Arbeitsverhältnis wurde mehrfach verlängert, zuletzt befristet bis 30.11.2011 (Bl. 357 d.A.). Im Jahr 2010 erzielte sie ein Jahresbruttoeinkommen von 26.400,00 EUR (vgl. Dezemberabrechnung, Bl. 414 d.A.).

Der 66-jährige Kläger ist berentet. Bis 2010 bezog er eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie eine betriebliche Altersrente. Seit 2010 erhält er neben der Betriebsrente eine Regelaltersrente (Bl. 168 d.A.). Das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Klägers belief sich im Jahr 2008 unstreitig auf insgesamt 2.648,12 EUR, in den Jahren 2009 und 2010 auf 2.842,00 EUR und seit Januar 2011 auf 3.040,33 EUR. Von der betrieblichen Altersrente werden seit Januar 2011 keine Steuern mehr abgeführt; der Kläger bildet daher monatliche Rücklagen von 166,56 EUR (vgl. Vermerk auf der Verdienstabrechnung, Bl. 396 d.A.).

Die Beklagte hat im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung das Familienheim übernommen. Für T. zahlten die Eltern bis September 2010 Kindesunterhalt. Die Beklagte hat die Zahlungen für G. ab Oktober 2010 eingestellt.

Im Scheidungsverfahren haben sich die Parteien in einer Vereinbarung vom 15.11.2000 darauf geeinigt, dass der Kläger im Hinblick auf seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit derzeit keinen Ehegattenunterhalt schulde; außerdem haben sie bereits die Berechnungsgrundlagen für einen etwaigen zukünftig geschuldeten nachehelichen Unterhalt festgelegt (vgl. Bl. 14 der Beiakte des Amtsgerichts Böblingen Az.18 F 1268/04).

Im August 2004 erhob die Beklagte Klage vor dem Amtsgericht Böblingen (Az. 18 F 1268/04), mit der sie ab August 2001 nachehelichen Unterhalt geltend machte.

Dieser Rechtsstreit wurde im Berufungsverfahren, Az. 17 UF 201/05, durch den vor dem Senat am 17.01.2006 geschlossenen Vergleich beendet (vgl. Bl. 148 ff der Beiakte). Neben rückständigem Unterhalt verpflichtete sich der damalige Beklagte, ab März 2006 laufenden Unterhalt von 600,00 EUR monatlich zu bezahlen.

Der in diesem Vergleich zu Grunde gelegte Zuschlag nach § 5 VAHRG beruhte auf einer fehlerhaften Auskunft des Rentenversicherungsträgers. Tatsächlich erhielt der damalige Beklagte bereits eine ungekürzte Rente. Er beantragte daher mit Schriftsatz vom 18.04.2006 (Bl. 164 der Beiakte) im Verfahren 17 UF 201/05 die Anberaumung eines weiteren Termins. In der Folgezeit einigten sich die Parteien außergerichtlich auf eine Unterhaltszahlung von monatlich 409,00 EUR. Der damalige Beklagte nahm mit Schriftsatz vom 23.08.2006 den Antrag auf Terminsbestimmung zurück (Bl. 212 der Beiakte).

Mit seiner am 11.08.2008 beim Amtsgericht Calw eingegangenen Klage begehrt der Kläger nunmehr die Feststellung, dass er ab Juli 2008 keinen Ehegattenunterhalt mehr schulde. Zur Begründung trägt er vor, im Vergleich vom 17.01.2006 sei ein Zuschlag nach § 5 VAHRG berücksichtigt, der tatsächlich nicht bezahlt worden sei. Unter Berücksichtigung einer freiwilligen Krankenversicherung von 292,00 EUR jährlich sowie einem monatlichen Unterhalt für G. von 135,00 EUR und für T. von 123,00 EUR verfüge er lediglich über ein Einkommen von 2.324,09 EUR. Seitens der Beklagten sei das Arbeitslosengeld sowie die für den Bezugszeitraum des Arbeitslosengeldes anteilig zu berücksichtigende Abfindung und damit ein monatliches Einkommen von insgesamt 2.708,00 EUR anzusetzen. Die Beklagte wohne außerdem mietfrei im eigenen Haus; zudem könne sie Mieteinkünfte von mindestens 200 EUR erzielen. Insgesamt verfüge sie daher über ein bereinigtes Einkommen von 2.675,00 EUR und könne somit ihren Bedarf selber decken. Nachdem die Beklagte arbeitslos geworden sei, habe sie sich überdies ungenügend um eine Erwerbstätigkeit bemüht. Nach der Änderung des Unterhaltsrechts zum 01.01.2008 schulde er ohnehin keinen Unterhalt mehr. Die Beklagte habe keine ehebedingten Nachteile erlitten. Der nacheheliche Unterhalt sei auf drei Jahre zu befristen. Diese Frist sei zwischenzeitlich abgelaufen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und verlangt widerklagend für die Monate September und Oktober 2009 einen Unterhalt von 813,00 EUR monatlich und ab November 2009 691,00 EUR monatlich (Bl. 94 d.A.).

Die Beklagte meint, die Voraussetzungen für eine Abänderung seitens des Klägers lägen mangels einer wesentlichen Änderung seiner Einkünfte schon gar nicht vor. Die Abfindung sei im August 2009 verbraucht gewesen. Für September und Oktober 2009 errechne sich im Hinblick auf ihre veränderte Einkommenssituation nunmehr ein Aufstockungsunterhalt von 813,00 EUR und ab November 2009 von 691,00 EUR (Bl. 96 d.A.).

Die Voraussetzungen der Befristung lägen angesichts der langen Ehe sowie der Betreuung und Erziehung der Kinder nicht vor. Sie habe wegen der Rollenverteilung in der Ehe keine verfestigte Berufsposition erarbeiten können. Mit einem hohen persönlichen Einsatz sei es ihr trotz ihres Alters zwar gelungen, nach der Trennung beruflich Fuß zu fassen. Von Kündigungen sei sie allerdings mangels hinreichender Betriebszugehörigkeit immer als Erste betroffen. Ohnehin sei der Kläger mit dem Einwand der Befristung präkludiert. Weder im Berufungsverfahren 17 UF 201/05 noch bei der Abänderung im August 2006 habe er sich auf den Befristungseinwand berufen.

Der Kläger verteidigt sich gegen die Widerklage.

In Abänderung des Vergleichs vom 17.01.2006 hat das Amtsgericht mit Urteil vom 22.02.2011, auf das ergänzend Bezug genommen wird, den Kläger verurteilt, an die Beklagte für das Jahr 2008 einen Unterhalt von monatlich 140,50 EUR, für das Jahr 2009 monatlich 237,84 EUR und für das Jahr 2010 monatlich 525,00 EUR zu bezahlen. Ab dem 01.01.2011 hat das Amtsgericht den Unterhalt auf 250,00 EUR monatlich begrenzt. Nach Ansicht des Amtsgerichts ist der Kläger mit dem Befristungseinwand nicht präkludiert. Der Unterhaltsanspruch sei allerdings nicht zu befristen. Ehebedingte Nachteile lägen nicht mehr vor. Angesichts der langen Ehedauer sowie der Rollenverteilung in der Ehe sei wegen der nachehelichen Solidarität nur eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs geboten.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Der Kläger verfolgt auch in der Berufungsinstanz die Herabsetzung des Unterhalts auf 0,00 EUR. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag aus 1. Instanz. Ergänzend trägt er vor, eine Stenokontoristin, die nach 20 Jahren wieder in den Beruf einsteige, könne nicht mehr verdienen, als die von der Beklagten derzeit erzielten 1.475,00 EUR netto. Es sei ein Glücksfall gewesen, dass die Beklagte bis September 2007 ein höheres Nettoeinkommen habe verdienen können. Es wäre indes unbillig, ihr dieses Einkommen bis zum Rentenbeginn zuzugestehen, zumal sie sich nach der Kündigung nicht ausreichend um Arbeit bemüht habe. Ehebedingte Nachteile lägen schon zum 1. Juli 2008 nicht mehr vor. Zu berücksichtigen sei bei der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung, dass die Beklagte einen nicht unerheblichen Wohnvorteil habe und außerdem 260 EUR monatliche Mieteinkünfte erzielen könne. Mit dem Einwand der Befristung sei er nicht präkludiert. Der behauptete Termin im August 2006 habe nicht stattgefunden. Die Berechnungen des Amtsgerichts seien im Übrigen nicht zu beanstanden.

Der Kläger beantragt (Bl. 336 d.A.):

1. Das Urteil des Familiengerichts Calw vom 22.02.11, Az. 6 F 350/08 wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass der Kläger in Abänderung des Vergleichs des OLG Stuttgart vom 17.01.06, Az: 17 UF 201/05 an die Beklagte ab 01.07.08 keinen nachehelichen Unterhalt mehr schuldet.

Die Beklagte, beantragt (Bl. 347 d.A.),

das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Calw, Az. 6 F 350/08, vom 22.02.2011, wird wie folgt abgeändert:

In Abänderung des am 17.01.2006/22.08.2006 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (Az. 17 UF 201/05) geschlossenen Vergleichs wird der Kläger verurteilt, an die Beklagte für die Monate September und Oktober 2009 Ehegattenunterhalt von jeweils EUR 813,00 und ab November 2009 monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von jeweils EUR 691,00 zu bezahlen.

Die Beklagte trägt vor, das Amtsgericht habe ihr zu Unrecht Mieteinkünfte angerechnet. Die Frage der Mieteinkünfte sei ausweislich der Verfügung des Senats vom 22.12.2005 bereits Gegenstand des Vorprozesses gewesen; in den abzuändernden Vergleich seien (fiktive) Mieteinkünfte nicht eingeflossen und könnten nunmehr nicht berücksichtigt werden. Die Beklagte meint weiterhin, der Befristungseinwand des Klägers sei präkludiert. Noch am 22.08.2006 – also nach der Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Befristung von Unterhaltsansprüchen – habe eine Verhandlung vor dem Oberlandesgericht stattgefunden. Unabhängig hiervon sei der Unterhaltsanspruch jedenfalls nicht zu befristen. Sie habe erhebliche ehebedingte Nachteile erlitten. Ohne Unterbrechung ihrer Erwerbsbiographie könnte sie heute 1.000,00 EUR netto mehr verdienen. Schon nach der Trennung sei es ihr gelungen, 2.000,00 EUR netto zu erzielen. Zur Untermauerung ihres Vorbringens legt die Beklagte den beruflichen Werdegang einer Bekannten dar (Bl. 336 d.A.).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akte des Amtsgerichts Böblingen, Az. 18 F 1268/04, war beigezogen.

II.

Die wechselseitigen Berufungen richten sich prozessual nach dem bis zum 31.08.2009 geltenden Prozessrecht, da der Rechtsstreit noch vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist, § 111 Absatz 1 FGG-RG (BGH, FamRZ 2010, 192).

Die Berufungen sind zulässig, haben in der Sache jedoch jeweils nur teilweise Erfolg.

Soweit der Kläger den Wegfall seiner Unterhaltspflicht anstrebt, ist eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs als Minus von seinem Antrag mit umfasst.

Für das Jahr 2008 schuldet der Kläger Ehegattenunterhalt von monatlich gerundet 271,00 EUR. Für den Zeitraum Januar 2009 bis August 2010 errechnet sich ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 448,00 EUR. Insoweit ist im Hinblick auf die Bindung an die Parteianträge (§ 308 ZPO) allerdings zu beachten, dass die Beklagte eine Abänderung des Vergleichs erst ab September 2009 begehrt. In dem abzuändernden Vergleich ist zwar – ausgehend von einem zu hohen Renteneinkommen des Klägers – ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 600,00 EUR tituliert; die Parteien haben sich indes – auf Grundlage des tatsächlichen Einkommens des Klägers – außergerichtlich auf eine monatliche Unterhaltszahlung von 409,00 EUR geeinigt. Da die Beklagte erst ab September 2009 die Abänderung des Vergleichs begehrt, verbleibt es für den Zeitraum Januar 2009 bis einschließlich August 2009 bei einer monatlichen Unterhaltszahlung von 409,00 EUR. Für September 2010 errechnet sich ein Unterhaltsanspruch von gerundet 454,00 EUR und für die Monate Oktober 2010 bis Dezember 2010 ein Anspruch von jeweils 393,00 EUR.

Ab Januar 2011 ergibt sich rechnerisch ein Anspruch von 409,00 EUR. Gemäß § 1578b Absatz 2 BGB ist dieser Betrag allerdings auf 200,00 EUR monatlich herabzusetzen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine Befristung des Unterhaltsanspruchs, worauf das Amtsgericht zu Recht hinweist, nicht gerechtfertigt.

1.

Die wechselseitigen Abänderungsklagen sind zulässig, § 323 Absatz 1 und 4 ZPO a.F., § 794 Absatz 1 Nummer 1 ZPO. Der Kläger beruft sich insbesondere auf eine nach Vergleichsabschluss eingetretene wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die sowohl auf einer Gesetzesänderung als auch der Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung beruhen kann (BGH, NJW 2011, 2512, 2513 unter Hinweis auf § 238 Absatz 1 Satz 2 FamFG, § 323 Absatz 1 Satz 2 ZPO n.F.).

2.

Nach der Ehescheidung besteht ein Unterhaltsanspruch nur, wenn der bedürftige Ehegatte nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen kann. Der darin zum Ausdruck kommende Grundsatz der Eigenverantwortung (§ 1569 BGB) ist schon lange im Gesetz verankert und wurde durch die Reform des Unterhaltsrechts lediglich wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Bestehen allerdings, wie hier, Einkommensdifferenzen, steht dem bedürftigen Ehegatten nach § 1573 Absatz 2 BGB Aufstockungsunterhalt in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen seinem tatsächlichen Einkommen und dem vollen Unterhalt, der sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB) richtet, zu.

a) Die durch den Verlust der Arbeitsstelle bei der Firma … veränderte Einkommenssituation der Beklagten ist allerdings unterhaltsrechtlich unbeachtlich. Die Beklagte ist nach der Trennung ihrer Erwerbsobliegenheit in begrüßenswerter Weise nachgekommen und hat ab Juni 2000 bei der Firma … zunächst ein Nettoeinkommen von etwa 1.600 EUR monatlich verdient. Anschließend war sie vom 01.07.2001 bis September 2007, also über sechs Jahre, bei der Fa. … beschäftigt. Ihr durchschnittlich erzieltes Nettoeinkommen betrug zuletzt 2.220,00 EUR (vgl. Schriftsatz Kläger vom 16.10.2010, Bl. 59 d.A., Protokoll vom 03.12.2008, Bl. 78 d.A.). Im Zeitpunkt des Vergleichsabschluss war ihr an den ehelichen Verhältnissen bemessener Unterhalt durch diese Erwerbstätigkeit zu einem ganz überwiegenden Teil nachhaltig gesichert, § 1573 Absatz 4 BGB.

aa) § 1573 Absatz 4 BGB möchte die nacheheliche Verantwortung des Unterhaltsschuldners für die Bedürftigkeit des anderen Ehegatten begrenzen, wenn dieser eine wirtschaftliche Sicherung später durch persönliche Gründe oder wegen der Arbeitsmarktlage wieder verloren hat (Palandt, 70. Aufl., § 1573 RN 5). Das allgemeine Arbeitsplatzrisiko weist das Gesetz damit grundsätzlich dem Unterhaltsberechtigten und nicht dem Unterhaltspflichtigen zu; dieser soll nur solche Risiken tragen, die in den – im Kern ehebedingten – Reintegrationsschwierigkeiten liegen (Büttner in Johannsen/Heinrich, Familienrecht, 5. Aufl. § 1573 BGB RN 13).

Die Beklagte hat nach der Scheidung ununterbrochen insgesamt über sieben Jahre eine Tätigkeit ausgeübt. Die Beklagte ist damit einer nachhaltig gesicherten Tätigkeit nachgegangen. Hiervon kann bereits nach einem Zeitraum von etwa zwei Jahren ausgegangen werden (OLG Zweibrücken, FamRZ 2008, 1958, 1959; OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 233; Palandt, BGB, 70. Aufl. § 1573 RN 28). Auf eine nachwirkende eheliche Verantwortung des Klägers kann sich die Beklagte daher insoweit nicht mehr berufen (vgl. BGH, FamRZ 2003, 1734, 1736).

bb) Der Verlust der Erwerbstätigkeit berührt allerdings den „Aufstockungsanspruch“, der bereits zuvor bestanden hat, nicht (Graba in Erman, BGB, 13. Aufl., § 1573 RN 39). Bedarfsprägende spätere Entwicklungen, wie etwa der Wegfall von Kindesunterhalt, sind zu berücksichtigen, sodass insoweit – ausgehend von den fortzuschreibenden Einkünften des Berechtigten – eine Abänderung des „überschießenden“ Aufstockungsunterhalts möglich ist.

b) Die gebotene Anpassung an die veränderten Verhältnisse hat unter Wahrung des in den Vergleichsgrundlagen zum Ausdruck kommenden Parteiwillens zu erfolgen.

Danach ist der nacheheliche Unterhalt allein anhand der – um den Kindesunterhalt bereinigten – Einkommen der Parteien zu ermitteln (vgl. Vereinbarung vom 15.11.2000 [Bl. 14 der Beiakte], Verfügung des Senats vom 22.12.2005 [Bl. 115 der Beiakte] sowie die dem abzuändernden Vergleich beigefügten Vergleichsgrundlagen). Offen bleiben kann daher, ob die Beklagte in zumutbarer Weise Mieteinkünfte erzielen könnte.

Soweit das Amtsgericht die bereits 2005 abgeschlossene und nicht in den abzuändernden Vergleich eingeflossene Krankenversicherung zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat, wird dies von der Beklagten nicht beanstandet.

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen errechnen sich folgende Unterhaltsansprüche der Beklagten:

2008:

Nach den – von den Parteien nicht angegriffenen – Feststellungen des Amtsgerichts verfügte der Kläger im Jahr 2008 nach Abzug der Krankenversicherung sowie des Kindesunterhaltes für G. (135,00 EUR) und T. (123,00 EUR) über ein bereinigtes Einkommen von 2.390,12 EUR.

Seitens der Beklagten ist das Amtsgericht – von den Parteien unbeanstandet – von einem Einkommen in Höhe von 2.109,00 EUR ausgegangen. Nach Abzug des Kindesunterhalts (für G. 135,00 EUR und für T. 125,00 EUR) verbleibt ein Einkommen von 1.849,00 EUR.

Den sich hieraus ergebenden eheangemessenen Unterhaltsbedarf von 2.119,56 EUR kann die Beklagte in Höhe ihrer Einkünfte von 1.849,00 EUR selber decken, sodass sich für das Jahr 2008 ein Unterhaltsanspruch von gerundet 271,00 EUR errechnet.

Januar 2009 bis August 2010:

Für diesen Zeitraum ist unstreitig von einem Einkommen des Klägers von 2.842,00 EUR auszugehen. Nach Abzug der Krankenversicherung (23,33 EUR) und des Kindesunterhalts (für G. 135,00 EUR und für T. 123,00 EUR) verbleiben 2.560,67 EUR.

Die Beklagte geht seit Januar 2009 wieder einer Erwerbstätigkeit nach. Allerdings ist der Unterhaltsberechnung nicht ihr tatsächlich erzieltes Einkommen, sondern das – um die berufsbedingten Aufwendungen von 5 % – bereinigte Nettoeinkommen in Höhe von 2.109,00 EUR fortzuschreiben (vgl. II.2.a). Nach Abzug des Kindesunterhalts (für G. 135,00 EUR und für T. 125,00 EUR) sowie des Erwerbstätigenbonus (184,90 EUR) errechnet sich ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von 1.664,10 EUR.

Ausgehend von einem Unterhaltsbedarf von 2.112,39 EUR verbleibt ein Unterhalts-anspruch von gerundet 448,00 EUR.

September 2010:

Seit September zahlen die Parteien an T. keinen Unterhalt mehr (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 23.05.2011, Bl. 336 d.A.). Bei im Übrigen unveränderten Einkommen erhöht der Wegfall der Unterhaltspflicht das bereinigte Einkommen des Klägers auf 2.683,67 EUR und das Einkommen der Beklagten auf 1.776,60 EUR.

Der Unterhaltsbedarf beträgt 2.230,14 EUR, der Unterhaltsanspruch 453,54 EUR, gerundet 454,00 EUR.

Oktober bis Dezember 2010:

Ab Oktober 2010 leistet die Beklagte für G. keinen Unterhalt mehr (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 23.05.2011, Bl. 336 d.A.). Ihr Einkommen erhöht sich dadurch auf 1.898,10 EUR. Bei einem unveränderten Einkommen des Klägers von 2.683,67 EUR errechnet sich ein Unterhaltsbedarf von 2.290,89 EUR, den die Beklagte in Höhe ihrer eigenen Einkünfte selber decken kann, sodass ein Unterhaltsanspruch von gerundet 393,00 EUR verbleibt.

ab 2011:

Der Kläger verfügt über Renteneinkünfte von insgesamt 3.040,33 EUR. Hiervon bildet er für die auf die Betriebsrente zu zahlende Steuer Rücklagen von monatlich 166,56 EUR, die einkommensmindernd zu berücksichtigen sind. Nach Abzug der Krankenversicherung sowie des Unterhalts für G. verbleibt ein Einkommen von 2.715,44 EUR.

Die Beklagte verfügt unverändert über ein Einkommen von 1.898,10 EUR.

Der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen errechnet sich auf 2.306,77 EUR. Es verbleibt ein Unterhaltsanspruch von gerundet 409,00 EUR.

3.

Der Unterhaltsanspruch der Beklagten ist zeitlich nicht zu befristen. Nach einer Abwägung der gesamten Umstände, insbesondere der durch die Ausgestaltung der Ehe erlittenen beruflichen Nachteile seitens der Beklagten, ist ein fortdauernder Unterhaltsanspruch nicht unbillig. Allerdings ist der Unterhaltsanspruch ab 01.01.2011 auf 200,00 EUR monatlich zu begrenzen (§ 1578b Absatz 1 BGB).

Nach § 1578b Absatz 2 Satz 1 und 2 , Absatz 1 BGB ist ein Unterhaltsanspruch zeitlich zu befristen, wenn ein unbegrenzter Unterhaltsanspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit, für den eigenen Unterhalt selbst zu sorgen, eingetreten sind.

a) Ehebedingte Nachteile sind v.a. Erwerbsnachteile, die auf der von den Ehegatten praktizierten Rollenverteilung während der Ehe beruhen. Hierzu gehört insbesondere auch die Aufgabe eines Arbeitsplatzes, die im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Ehe erfolgt. Ein ehebedingter Nachteil liegt bei einer solchen Fallgestaltung nur dann nicht vor, wenn die Ehegestaltung für den Erwerbsnachteil nicht ursächlich geworden ist, etwa weil der Unterhaltsberechtigte sich beruflich neu orientieren wollte oder ihm betriebsbedingt gekündigt worden wäre (BGH, FamRZ 2011, 628, 630). Die Beklagte war bis zur Geburt ihres ersten Kindes (1980) bereits mehrere Jahre bei der Fa. … beschäftigt; es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie ihren Arbeitsplatz auch ohne familiäre Gründe aufgegeben oder verloren hätte.

Ob ehebedingte Nachteile entstanden sind, ist zu ermitteln, indem die Lage, wie sie sich ohne Eheschließung und die gewählte Rollenverteilung ergeben hätte, und die tatsächlich bestehende Lage gegenüber gestellt werden (BGH, NJW 2011, 2512, 2514; FamRZ 2010, 2059, 2061).

aa) Behauptet der Unterhaltspflichtige, dem geschiedenen Ehegatten seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, hat er dies darzulegen und zu beweisen (BGH, FamRZ 2010, 875, 877). Den mit dem Beweis negativer Tatsachen verbundenen Schwierigkeiten begegnet die Rechtsprechung mit der sog. sekundären Darlegungslast. Danach hat der Unterhaltsberechtigte die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substantiiert zu bestreiten und seinerseits darzulegen, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen; dies gilt insbesondere, wenn er wieder in seinem erlernten Beruf tätig ist (BGH, FamRZ 2010, 2059, 2061). Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt und dies bewiesen werden (BGH, FamRZ 2010, 875, 877; FamRZ, 2059, 2061).

bb) Allein mit dem pauschalen Hinweis, die Beklagte habe keine ehebedingten Nachteile erlitten, kommt der Kläger allerdings seiner primären Darlegungslast nicht nach (vgl. Ziff. 3 der Arbeitskreisergebnisse des 14. Arbeitskreises des 19. DFGT). Er setzt sich mit der – ehebedingt – langen Berufspause der Beklagten und den damit erfahrungsgemäß verbundenen Gehaltseinbußen nicht auseinander. Im Übrigen legt bereits sein eigener Vortrag, eine Stenokontoristin, die nach 21 Jahren wieder in den Beruf einsteige, könne ohnehin nicht mehr als das derzeit erzielte Nettoeinkommen von 1.475, 46 EUR verdienen, einen ehebedingten Nachteil nahe. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu liefern. An diesem Grundsatz rührt auch der Gedanke der sekundären Darlegungslast nicht. Dieses prozessuale Instrument kommt nur in Betracht, wenn einer nicht darlegungsbelasteten Partei zuzumuten ist, ihrem Prozessgegner die Darlegung durch nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie, anders als der außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehende Darlegungsbelastete, die wesentlichen Tatsachen kennt (BGH, NJW-RR 2008, 1269, 1270). Besseres Wissen der Beklagten lässt sich hier indes nicht feststellen. Der berufliche Werdegang sowie die bis zum Trennungszeitpunkt erworbenen Fähigkeiten, wie z.B. Sprachkenntnisse, seiner geschiedenen Ehefrau dürften dem Kläger wohl bekannt sein. Ferner wäre es ihm ohne Weiteres möglich gewesen, etwa bei der Fa. …, bei der er übrigens selbst beschäftigt war, eine Auskunft darüber einzuholen, wie sich das Berufsbild einer Stenokontoristin und damit verbunden das Einkommensgefüge im Verlaufe der Jahre in dieser Firma entwickelt hat. Soweit die Rechtsprechung zwischenzeitlich Schätzungen des hypothetischen Einkommens nach § 287 ZPO zulässt (vgl. BGH, FamRZ 2010, 1633, 1636; FamRZ 2010, 2059, 2062), kann auch der Unterhaltspflichtige auf Tarifverträge, Gehaltstabellen etc. zugreifen.

cc) Entgegen der Behauptung des Klägers lassen sich hier ehebedingte Nachteile feststellen.

Die Beklagte war nach einer langen Berufspause und im Alter von fast 50 Jahren in der Lage, beruflich nochmals Fuß zu fassen und sogar eine nachhaltig gesicherte Erwerbstätigkeit (vgl. II.2.a) auszuüben. Trotz langjähriger Unterbrechung ihrer Erwerbsbiographie ist es ihr gelungen, über mehrere Jahre ein durchschnittliches Einkommen von über 2.000,00 EUR netto zu verdienen. Nach Verlust ihrer Arbeitsstelle im September 2007 hat sie, wenn auch bislang befristet, wiederum eine Tätigkeit gefunden, bei der sie immerhin ein Einkommen von 1.461,00 EUR netto erzielt (vgl. Gehaltsabrechnung Juli 2011, Bl. 422 d.A). Dieser gelungene berufliche Wiedereinstieg ist insbesondere auf das – auch in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommene – Engagement und die Einsatzbereitschaft der Beklagten zurückzuführen. Für den Senat steht daher fest, dass die Beklagte ohne Ausscheiden aus dem Berufsleben heute einen im Vergleich zu ihrem derzeitigen Einkommen deutlich höheren Lohn erhalten würde. In Baden-Württemberg liegt der Bruttoverdienst einer Sekretärin zwischen 567,00 EUR und 4.500,00 EUR (www.gehaltsvergleich.com). Eine Vorstands-, Geschäftsführungssekretärin erzielte 2009 durchschnittlich 64.375,00 EUR brutto, eine Chefsekretärin 51.500,00 EUR brutto, eine Sachbearbeiterin in der Buchhaltung 2008 39.000,00 EUR brutto (vgl. www.sekretaerinnen-service.de). Wichtig für das berufliche Fortkommen sind Zuverlässigkeit, Organisationstalent, Redegewandtheit, Vertrauenswürdigkeit und Fremdsprachenkenntnisse (www. sekretaerinnen-service.de). Im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck sowie insbesondere auch der nach der Trennung gezeigten Bereitschaft, sich entsprechend den Anforderungen des Arbeitsmarktes fortzubilden, hat der Senat keine Zweifel, dass die Beklagte früher oder später eine verantwortliche Stelle, etwa als Chefsekretärin, hätte erlangen können. Mit einer Berufserfahrung von über 30 Jahren würde die Beklagte heute durchaus ein Nettoeinkommen von etwa 2.400,00 EUR monatlich erzielen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte noch höhere Einkünfte verdienen könnte, sind dem Vortrag der – insoweit darlegungsbelasteten – Beklagten, allerdings nicht zu entnehmen. Die ehebedingte Berufsunterbrechung führt dazu, dass die Beklagte entsprechend geringere Rentenanwartschaften erzielen kann (vgl. OLG Celle FamRZ 2009, 1161; OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1252). Durch den Versorgungsausgleich wurden diese ehebedingten Nachteile der Beklagten infolge Haushaltsführung und Kinderbetreuung nur hinsichtlich der Ehezeit im Sinne des § 1587 Abs. 2 BGB a.F. (§ 1 VersAusglG) ausgeglichen (vgl. BGH, FamRZ 2008, 1325, 1329; BGH, Urteil v. 29.06.2011, Az. XII ZR 157/09 – juris RN 29). Damit werden die ehebedingten Nachteile voraussichtlich auch noch nach Renteneintritt der Beklagten jedenfalls dem Grunde nach fortwirken, zumal der Kläger keinen Altersvorsorgeunterhalt geleistet hat.

dd) Für die Frage, in welcher Höhe ehebedingte Nachteile entstanden sind, ist das hypothetische Einkommen hier nicht mit dem derzeitigen Einkommen, sondern vielmehr mit dem Einkommen aus der nachhaltig gesicherten Erwerbstätigkeit zu vergleichen. Ansonsten würde man dem Kläger entgegen der gesetzlichen Wertung des § 1573 Absatz 4 BGB doch das Arbeitsplatzrisiko überbürden.

Das vor dem Verlust des Arbeitsplatzes im September 2007 erzielte Nettoeinkommen betrug durchschnittlich 2.220,00 EUR. Den ehebedingten Nachteil schätzt der Senat danach auf 200,00 EUR monatlich (§ 287 ZPO).

b) Der Unterhaltsanspruch der Beklagten ist zeitlich nicht zu befristen. Liegen, wie hier, ehebedingte Nachteile vor, verbietet sich regelmäßig eine Befristung (vgl. BGH, FamRZ 2011, 628, 630). Ansonsten würde der unterhaltsberechtigte Ehegatte die Folgen des Scheiterns eines gemeinsamen Lebensentwurfes alleine tragen.

Hinzukommt, dass sich § 1578b BGB nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile beschränkt, sondern auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität berücksichtigt (BGH, FamRZ 2010, 629, 632). Dies gilt auch für den hier in Rede stehenden Aufstockungsunterhalt (BGH, NJW 2011, 2512, 2514). Im Rahmen der insoweit gebotenen Billigkeitsprüfung sind nach § 1578b Absatz 1 Satz 3 BGB neben weiteren relevanten Umständen im Einzelfall die Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, die Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie die Dauer der Ehe zu berücksichtigen. Die Parteien waren über 20 Jahre verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die die Beklagte betreut und erzogen hat. Ferner kommt hinzu, dass sie sich auch um ihre Schwiegermutter gekümmert hat, wobei die Einzelheiten allerdings zwischen den Parteien streitig sind.

In die Abwägung einzufließen hat hier außerdem, dass der Unterhaltsanspruch der Beklagten vor dem 01. Januar 2008 und zwar zu einem Zeitpunkt tituliert wurde, als die Rechtsprechung bei einer Ehedauer von 20 Jahren eine – vom Gesetz zwar vorgesehene – Befristung des Aufstockungsunterhalts regelmäßig ablehnte (vgl. Dose, Ausgewählte Fragen der Unterhaltsreform, FamRZ 2007, 1289, 1294). Erst seit der Entscheidung des BGH vom 12. April 2006 (FamRZ 2006, 1006) misst die Rechtsprechung der Ehedauer keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte allerdings schon 55 Jahre alt.

In Fällen wie hier, in denen die Ehe lange vor dem 01.01.2008 geschlossen worden ist, ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Ehegatten noch unter ganz anderen gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen geheiratet und ihre Ehe ausgestaltet haben. Im Hinblick hierauf wurden auch im Gesetzgebungsverfahren Forderungen laut, Ehen von einer bestimmten Dauer von der Geltung des neuen Rechts auszunehmen (vgl. hierzu eingehend AG Pankow-Weißensee, FamRZ 2010, 1087). Dieser Forderung kam der Gesetzgeber nicht nach, ging aber davon aus, über § 36 EGZPO den erforderlichen Vertrauensschutz gewährt zu haben. (vgl. BT-Drs. 16/1830, S. 33). In den Fällen des praxisrelevanten Aufstockungsunterhalts ist § 36 EGZPO indes nach der Rechtsprechung des BGH nicht anzuwenden (BGH, NJW 2011, 2512, 2513). Allerdings prüft der BGH den Gesichtspunkt, ob die Abänderung der hiervon betroffenen Partei zumutbar ist, bei der Prüfung der Unbilligkeit nach § 1578b BGB (u.a. BGH, FamRZ 2010, 2059, 2062). Aus diesen Gründen kann das – jedenfalls bis zum April 2006 – berechtigte Vertrauen der Beklagten in einen unbegrenzten Unterhaltsanspruch im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben.

Ein zeitlich unbefristeter Unterhaltsanspruch ist nach alledem nicht unbillig.

c) Ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interessen des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsberechtigten ist insbesondere in Fällen wie hier über eine Beschränkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1578b Absatz 1 BGB zu suchen. Das Vorliegen ehebedingter Nachteile steht einer Herabsetzung des Unterhalts (bis) auf den angemessenen Lebensbedarf nicht entgegen. Der angemessene Bedarf umfasst dabei den Bedarf, den der Unterhaltsberechtigte ohne die Ehe zum jetzigen Zeitpunkt aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte (BGH, FamRZ 2010, 2059, 2061). Auch in diesem Zusammenhang ist wiederum auf das Einkommen aus der nachhaltig gesicherten Erwerbstätigkeit abzustellen.

Nach einer Abwägung der gesamten Umstände hält der Senat eine Begrenzung des Unterhalts ab dem 01.01.2011 auf 200,00 EUR monatlich für angemessen. Dabei hat der Senat einerseits insbesondere die lange Ehedauer, die Rollenverteilung in der Ehe sowie ferner das Vertrauen in einen fortbestehenden Unterhaltsanspruch berücksichtigt. In die Abwägung eingeflossen ist andererseits das sich mit zunehmendem Abstand zur Scheidung abschwächende Band nachehelicher Solidarität (vgl. BGH, Urt. v. 29.06.2011, Az. XII ZR 157/2011 – juris RN 23). Die Parteien leben seit 1999 – der Scheidungsantrag wurde im Mai 1999 rechtshängig – getrennt und sind seit November 2000 geschieden. Von August 2001 bis Dezember 2010 und damit über neun Jahre wird die Beklagte Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen erhalten haben. Hinzukommt ferner, dass die Beklagte mietfrei im Eigenheim wohnt und ggf. durch Vermietungen ihre wirtschaftliche Lage aufbessern kann.

Ein Unterhaltsanspruch von 200,00 EUR monatlich ist dem Kläger angesichts seiner Renteneinkünfte – wohl auch über den Renteneintritt der Beklagten hinaus – zumutbar. Der Senat geht dabei nach derzeitigem Kenntnisstand davon aus, dass der Beklagten auch nach Renteneintritt voraussichtlich ein an den ehelichen Lebensverhältnissen bemessener Unterhaltsanspruch von über 200,00 EUR zustehen würde. Ehebedingte Nachteile werden zwar nach Renteneintritt im Hinblick auf die vom Senat geschätzte Einkommensdifferenz von 200,00 EUR (vgl. 3.a,dd) monatlich nur in geringem Umfang fortbestehen; insoweit wird aber dann die nacheheliche Solidarität unter Umständen an Gewicht gewinnen können.

d) Zu Recht geht das Amtsgericht davon aus, dass der Kläger mit dem Einwand der Befristung bzw. Begrenzung nicht präkludiert ist. Der – verfahrensbeendende – Vergleichsabschluss erfolgte im Januar 2006, also vor der Grundsatzentscheidung des BGH vom 12. April 2006. Ob die Behauptung der Beklagten, im August 2006 habe ein weiterer Senatstermin stattgefunden, zutrifft, kann im Ergebnis offen blieben. Mit der Aktenlage steht dieser Vortrag nicht im Einklang. Ein Sitzungsprotokoll ist nicht vorhanden. Wäre eine förmliche Verhandlung durchgeführt worden, hätte nichts näher gelegen, als die – erneute – Einigung der Parteien in einem vollstreckbaren Prozessvergleich niederzulegen. Dies ist aber unstreitig nicht erfolgt. Jedenfalls ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass sich die Parteien im Jahr 2006 die Frage der Befristung/Begrenzung künftig offenhalten wollten (vgl. BGH, FamRZ 2010, 1238, 1240).

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO. Der Streitwert war entsprechend § 47 GKG festzusetzen. Hierbei ist der Senat von dem außergerichtlich vereinbarten Unterhaltsbetrag von 409,00 EUR monatlich ausgegangen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.

OLG Stuttgart, Urteil vom 18.10.2011
17 UF 88/11

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