OLG Thüringen: Umgangskosten bei Feststellung der Leistungsfähigkeit

I. Den Klägern wird für die Rechtsverfolgung in der Berufungsinstanz ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt, soweit sie beantragen, den Beklagten in Abänderung des Urteils des Amtsgerichts – Familiengericht – Stadtroda vom 16.12.2009 (Az. 1 F 375/08) zu verurteilen, Kindesunterhalt

1.) für B., geboren am 17.06.1995

a) vom 01.06.2008 bis 31.03.2009 in Höhe von 1152,- €,
b) ab dem 01.04.2009 in Höhe von 149,- € monatlich und
c) ab dem 01.07.2009 in Höhe von 143,- € monatlich,

abzüglich ab dem 01.04.2009 gezahlter 84,- € monatlich,
abzüglich ab dem 01.07.2009 gezahlter 81,- € monatlich, zu zahlen.

2.) für R., geboren am 10.01.1997,

a) ab dem 11.01.2009 in Höhe von 149,- € monatlich,
b) ab dem 01.07.2009 in Höhe von 143,- € monatlich,

abzüglich ab dem 11.01.2009 gezahlter 84,- € monatlich,
abzüglich ab dem 01.07.2009 gezahlter 81,- € monatlich, zu zahlen.

3.) für F., geboren am 04.04.2001,

a) ab dem 01.04.2009 in Höhe von 120,- € monatlich,
b) ab dem 01.07.2009 in Höhe von 115,- € monatlich,

abzüglich ab dem 01.04.2009 gezahlter 68,- € monatlich,
abzüglich ab dem 01.07.2009 gezahlter 65,- € monatlich, zu zahlen.

Die Zahlung ist bis zur Höhe der bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung erbrachten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an den Freistaat Thüringen, vertreten durch die zuständige Unterhaltsvorschussstelle des Landratsamtes des S.-Kreises, zu leisten.

4. für E., geboren am 09.07.2003,

a) ab dem 01.04.2009 in Höhe von 93,- monatlich,
b) ab dem 01.07.2009 in Höhe von 110,- € monatlich,
c) ab dem 01.01.2010 in Höhe von 109,- € monatlich,

abzüglich ab dem 01.04.2009 gezahlter 52,- € monatlich,
abzüglich ab dem 01.07.2009 gezahlter 61,- € monatlich, zu zahlen.

Die Zahlung ist bis zur Höhe der bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung erbrachten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an den Freistaat Thüringen, vertreten durch die zuständige Unterhaltsvorschussstelle des Landratsamtes des S.-Kreises, zu leisten.

II. Im Übrigen wird den Klägern Prozesskostenhilfe verweigert.

Gründe

I.

Der Beklagte ist der Vater der minderjährigen Kläger. Der Beklagte und die gesetzliche Vertreterin der Kläger leben seit Dezember 2005 getrennt. Das Amtsgericht Stadtroda hat mit Urteil vom 10.12.2008 die Ehe der Kindeseltern geschieden.

Die Kindesmutter hat den Beklagten mit der am 20.11.2008 eingereichten Klageschrift für B., R., F. und E. auf den Mindestunterhalt der jeweiligen Altersstufe nach § 1612 a Abs. 1 BGB abzüglich der Hälfte des jeweiligen gesetzlichen Kindergeldes ab Rechtskraft des Urteils und für B. auf rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 288,- € ab Juni 2008 bis zur Rechtskraft des Urteils in Anspruch genommen.

Die Kläger haben den Beklagten mit Schreiben vom 04.06.2008 zur Auskunftserteilung für den Zeitraum 6/07 bis 5/08 aufgefordert und mit der Unterhaltszahlung ab Juni 2008 in Verzug gesetzt. Die Kinder R., F. und E. haben Unterhaltsvorschuss erhalten. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Schreiben des S. – Kreises vom 24.02.2009 (Bl. 123 – 125 d A) Bezug genommen.

Die Kindesmutter hat weiter beantragt, den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, für B. 100 % des Mindestunterhalts von derzeit 288,- € monatlich zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 25.03.2009 hat die Klägerin das Rubrum dahingehend geändert, dass Kläger nunmehr die Kinder B., R., F. und E., gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter sind und die nachstehend aufgeführten Anträge angekündigt (Bl. 15 – 19 d A). .

Der Beklagte ist Geselle des KFZ – Handwerkes. Er hat von 10/91 bis 4/02 der Bundeswehr angehört, im Anschluss von 4/02 – 6/03 eine Ausbildung bei der D. Versicherung zum Versicherungsfachmann mit dem Abschluss Versicherungsfachmann absolviert und von 4/03 bis 12/03 eine Weiterbildung zum Immobilienfachberater bei der D. begonnen. Er hat bis 10/06 im Außendienst bei der D. als Versicherungsfachmann/Bezirksleiter gearbeitet und war seit 10/06 als Versicherungsmakler tätig.

Der Beklagte hat mit Steuerbescheid vom 13.02.2009 für 2006 eine Nachzahlung für das Kalenderjahr 2006 in Höhe von 3105,52 € erhalten. Der Beklagte hat im Kalenderjahr 2006 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4111,- € und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 43434,- € erzielt.

Der Beklagte hat von Oktober 2007 bis Juni 2008 einen Gründungszuschuss in Höhe von monatlich 1165,20 € zuzüglich 300,- € Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge erhalten. Der Beklagte hat vom 17.07.bis 31.12.2008 staatliche Unterstützung in Höhe von ARGE- Leistungen bezogen. Der Beklagte arbeitet seit dem 01.10.2008 bei der Spedition Brucker als Kraftfahrer.

Der Beklagte hat folgenden Nettoverdienst erzielt:

September 2008: 117,27 €
Oktober 2008: 1125,03€
November 2008: 1564,27 €
Dezember 2008: 1555,75 €
Januar 2009: 1548,22 €
Februar 2009: 1494,72 €
März 2009: 1568,72 €
April 2009: 1472,72 €
Mai 2009: 1416,49 €
Juni 2009: 1578,72 €
Juli 2009: 1415,32 €
August 2009: 1324,97 €
September 2009: 1515,32 €
Oktober 2009: 1441,52 €

Die Kläger haben vorgetragen, der Beklagte habe alles daran zu setzen, um für die minderjährigen Kinder den Mindestunterhalt zahlen zu können.

Es werde bestritten, dass dem Beklagten durch die behaupteten Stornierungen ein Schuldenberg in Höhe von 40000,- € entstanden sein solle.

Der BGH habe entschieden, dass für die Umgangskosten (auch) das staatliche Kindergeld einzusetzen sei. Die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts würden bestritten. Der Beklagte müsse mit Sicherheit nicht im Hotel übernachten, für die angegebene Fahrtstrecke entstünden keine 200,- € an Fahrtkosten und die Verpflegung der Kinder erhöhe den Selbstbehalt des Beklagten nicht.

Die Kläger haben beantragt, den Beklagten zu verurteilen,

1. an das minderjährige Kind B. M., geboren am 17.06.1995, zu Händen der Kindesmutter, jeweils monatlich im Voraus, den jeweiligen Mindestunterhalt der zutreffenden Altersstufe nach § 1612a Abs. 1 BGB und jeweils abzüglich des jeweiligen gesetzlichen Kindergeldes ab April 2009 zu zahlen,

2. an das minderjährige Kind B. M. rückständigen Kindesunterhalt für den Zeitraum Juni 2008 bis einschließlich März 2009 in Höhe von 1152,- € zuzüglich 5 Prozentpunkte Verzugszinsen über dem Basiszinssatz ab 01.04.2009 zu zahlen,

3. an das minderjährige Kind R. M., geboren am 10.01.1997, zu Händen der Kindesmutter, jeweils monatlich im Voraus, den jeweiligen Mindestunterhalt der zutreffenden Altersstufe nach § 1612a Abs. 1 BGB und jeweils abzüglich des jeweiligen gesetzlichen Kindergeldes ab April 2009 zu zahlen,

4. an das minderjährige Kind R. M. rückständigen Kindesunterhalt für den Zeitraum 11.01.2009 bis 31.03.2009 in Höhe von 689,- € zuzüglich 5 Prozentpunkte Verzugszinsen über dem Basiszinssatz ab 01.04.2009 zu zahlen,

5. an das minderjährige Kind F. M., geboren am 04.04.2001, zu Händen der Kindesmutter, jeweils monatlich im Voraus, den jeweiligen Mindestunterhalt der zutreffenden Altersstufe nach § 1612a Abs. 1 BGB und jeweils abzüglich des jeweiligen gesetzlichen Kindergeldes ab Rechtshängigkeit (05.05.2009) zu zahlen.

Die Zahlung ist bis zur Höhe der bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung erbrachten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an den Freistaat Thüringen, vertreten durch die zuständige Unterhaltsvorschussstelle des Landratsamtes des Saale-Holzland-Kreises, zu leisten.

6. an das minderjährige Kind E. M., geboren am 09.07.2003, zu Händen der Kindesmutter, jeweils monatlich im Voraus, den jeweiligen Mindestunterhalt der zutreffenden Altersstufe nach § 1612a Abs. 1 BGB und jeweils abzüglich des jeweiligen gesetzlichen Kindergeldes ab Rechtshängigkeit (05.05.2009) zu zahlen,

Die Zahlung ist bis zur Höhe der bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung erbrachten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an den Freistaat Thüringen, vertreten durch die zuständige Unterhaltsvorschussstelle des Landratsamtes des Saale-Holzland-Kreises, zu leisten.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat angeführt, er habe den Weg in die Selbständigkeit gewählt, um ein höheres Einkommen für sich und seine Familie zu erzielen. Dies habe leider nicht den gewünschten Erfolg gebracht, da etliche Versicherungen storniert wurden und sich für den Beklagten mittlerweile ein Schuldenberg von ca. 40000,- € angesammelt habe.

Er dürfe die frühere Tätigkeit als – selbständiger oder angestellter – Versicherungsvermittler nicht mehr ausüben. Er habe die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Gemäß § 34d Gewerbeordnung bedürfe er als Versicherungsvertreter der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Gemäß Abs. 2 Nr. 2 sei die Erlaubnis zu versagen, wenn er in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebe. Er sei beim Amtsgericht Heidenheim in der Schuldnerkartei eingetragen. Auch eine Tätigkeit als angestellter Versicherungsvermittler sei nicht mehr möglich, denn nach § 34 d Abs. 6 Gewerbeordnung dürften Versicherungen bei der Vermittlung mitwirkende Personen nur beschäftigen, wenn diese neben der Qualifikation auch zuverlässig seien. Daran fehle es bei ihm, da er die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe.

Da er einen negativen Schufaeintrag erhalten habe, sei er in der Vermittlerkartei bei der IHK nicht mehr registrierbar, was seit dem 01.01.2009 Pflicht sei. Er dürfe seit dem 01.01.2009 keine Versicherungen oder sonstige Kapitalerträge mehr vermitteln.

Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage habe die Spedition B. im Monat Mai 2009 angekündigt, keine Sonderzahlungen mehr zu leisten. Es könne lediglich der Auszahlungsbetrag und nicht das Nettoeinkommen in die Unterhaltsberechnung eingestellt werden. Mit Schreiben vom 28.10.2009 sei mitgeteilt worden, dass von Oktober 2009 bis zum 30.06.2010 die Bruttolohnsumme bei allen Mitarbeitern um 5 % reduziert werde.

Der Selbstbehalt des Beklagten sei zu erhöhen, damit dieser sein Umgangsrecht in Thüringen ausüben könne. Das Unterhaltsrecht dürfe dem Unterhaltspflichtigen nicht die Möglichkeit nehmen, sein Umgangsrecht auszuüben.

Er habe mindestens einmal im Monat Umgang mit seinen Kindern. Die einfache Strecke betrage ca. 340 km. Ihm entstünden folgende Kosten:

Hotelübernachtungen pro Monat 2 x 50,- € = 100,- €
Kosten für Hin- und Rückfahrt 2 x 350 km = ca. 200,- €
Verpflegung für die Kinder während dieser Zeit ca. 100,- €

Er lebe zwar mit einer neuen Partnerin zusammen, insofern sei kein Abzug im Selbstbehalt vorzunehmen aufgrund ersparter Wohnkosten. Diese arbeite lediglich als Aushilfskraft und erziele ein Nettoeinkommen in Höhe von durchschnittlich 600,- € monatlich.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 16.12.2009 den Beklagten verurteilt, monatlichen Kindesunterhalt

a) für B., geboren am 17.06.1995
ab Juni 2008 in Höhe von 117,- €,
ab Januar 2009 in Höhe von 114,- € und
ab Juli 2009 in Höhe von 110,- €

b) für R., geboren am 10.01.1997
ab Januar 2009 in Höhe von 114,- € und
ab Juli 2009 in Höhe von 109,- €,

c) für F., geboren am 04.04.2001,
ab April 2009 in Höhe von 93,- € und
ab Juli 2009 in Höhe von 89,- €,

d) für E., geboren am 09.07.2003,
ab April 2009 in Höhe von 77,- € und
ab Juli 2009 in Höhe von 89,- €,

abzüglich geleisteter Beträge zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, dem Beklagten könne kein höheres Nettoeinkommen als das derzeit erzielte zugerechnet werden. Es seien keine Anhaltspunkte für ein mutwilliges Unterlassen der Erzielung höherer Einkünfte ersichtlich. Der Beklagte habe in dem Zeitraum November 2008 bis Oktober 2009 ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1496,73 € erzielt.

Durch den Umzug der Kinder in das 360 km entfernt liegende W. sei die Kostenbelastung dem umgangsberechtigten Beklagten nicht zumutbar. Das Einkommen des Beklagten sei um die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts in Höhe von 200,- € zu ermäßigen. Es verbleibe ein Nettoeinkommen in Höhe von 1296,- €. Unter Berücksichtigung eines Selbstbehalts in Höhe von 900,- € errechne sich eine Verteilungsmasse in Höhe von 397,- €.

Es ergebe sich folgende Unterhaltsberechnung:

a) ab Juni 2008:

Unterhaltsanspruch Nach Mangelfallberechnung
B. 288,- € 117,- €
R. 245,- € 99,- €
F. 245,- € 99,- €
E. 202,- € 82,- €

b) ab Januar 2009:

Unterhaltsanspruch Nach Mangelfallberechnung
B. 295,- € 114,- €
R. 295,- € 114- €
F. 240,- € 93,- €
E. 199,- € 77,-

c) ab Juli 2009:

Unterhaltsanspruch Nach Mangelfallberechnung
B. 295,- € 110,- €
R. 295,- € 110,- €
F. 245,- € 89,- €
E. 240,- € 89,- €

Die Kläger beabsichtigen, das Urteil I. Instanz mit der Berufung anzugreifen und ersuchen hierfür um Prozesskotenhilfe.

Sie führen an, die angestrebte Berufung habe in voller Höhe Aussicht auf Erfolg. Das Amtsgericht habe zu Unrecht das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Beklagten herabgesetzt. Der Beklagte habe als Versicherungsmakler über ein Einkommen verfügt, das den Mindestunterhalt für die minderjährigen Kinder gesichert habe. Der Beklagte habe in I. Instanz angeführt, er könne wegen des Fehlverhaltens seines Mitarbeiters und/oder Partners seine Versicherungstätigkeit nicht mehr ausüben. Dem werde widersprochen. Niemand könne für den Fehler eines Dritten verantwortlich gemacht werden. Die Kläger hielten an ihrer Auffassung fest, dass der Beklagte seine Tätigkeit nur aufgegeben habe, um sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen.

Der Beklagte lebe mit seiner Lebenspartnerin zusammen. Durch Synergieeffekte und Einsparungen müsse sein Selbstbehalt um 200,- € gekürzt werden.

Da der Beklagte nicht den Mindestunterhalt zahle, werde dem Erstgericht insoweit widersprochen, dass ein Drittel des zur Unterhaltszahlung zur Verfügung stehenden Einkommens für Umgangskontakte verbraucht werde.

Der Beklagte beantragt, den Klägern Prozesskostenhilfe zu verweigern.

Er verweist auf sein Vorbringen I. Instanz und führt an, eine Kürzung seines Selbstbehalts um 200,- € sei nicht gerechtfertigt. Der Beklagte zahle die Kosten der Wohnung alleine. Die Lebensgefährtin verdiene lediglich 600,- €. Würde man den Selbstbehalt noch weiter kürzen, fiele er der Sozialhilfe anheim. Seine Lebensgefährtin sei Mitte Januar 2010 ausgezogen und wohne wieder bei ihrer Mutter (Beweis: Zeugnis seiner Lebensgefährtin, Bl. 190 d A).

Das Amtsgericht habe zu Recht angesichts einer Entfernung von 390 km die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts mit monatlich 200,- € berücksichtigt.

II.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (BGH, FamRZ 2010, 357).

Die Rechtsverfolgung der Kläger in der Berufungsinstanz hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).

Entgegen der Auffassung der Kläger vermag der Senat eine vollständige Leistungsfähigkeit des Beklagten unter dem Aspekt, dass er seine Tätigkeit als Versicherungsmakler aufgegeben habe, um sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen, nicht zu fingieren.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2009, 314) ist gemäß § 1603 Abs. 1 BGB nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden. Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern muss die Anrechnung fiktiver Einkünfte aber stets die Grenze des Zumutbaren beachten. Übersteigt die Gesamtbelastung des Unterhaltsschuldners diese Grenze, ist die Beschränkung seiner Dispositionsfreiheit als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsgemäßen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (BVerfG FamRZ 2007, 273 f., 2006, 469 f. und 2003, 661 f.).

Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall gelangt man für den hier in Rede stehenden Zeitraum nicht zu einer fiktiven Leistungsfähigkeit des Beklagten in Höhe von 100% des Mindestunterhalts.

Der Beklagte hat zur Überzeugung des Senates dargelegt, dass er die frühere Tätigkeit als – selbständiger oder angestellter – Versicherungsvermittler nicht mehr ausüben kann und darf. Er hat am 14.07.2008 die eidesstattliche Versicherung vor dem Amtsgericht Heidenheim, Az. 3 M (Bl. 150 d A) abgegeben. Gemäß § 34d Gewerbeordnung bedarf er als Versicherungsvertreter der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Gemäß Abs. 2 Nr. 2 ist die Erlaubnis zu versagen, wenn er in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt; dies ist in der Regel der Fall, wenn über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder er in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 der Insolvenzordnung) eingetragen wurde. Auch eine Tätigkeit als angestellter Versicherungsvermittler ist dem Beklagten nicht mehr möglich, denn nach § 34d Abs. 6 Gewerbeordnung dürfen Versicherungen bei der Vermittlung mitwirkende Personen nur beschäftigen, wenn diese neben der Qualifikation auch das Merkmal „zuverlässig“ erfüllen. Daran fehlt es bei dem Beklagten, da er die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.

Da er einen negativen Schufaeintrag erhalten hat, ist er in der Vermittlerkartei bei der IHK (AVAD) nicht mehr registrierbar, was seit dem 01.01.2009 Pflicht ist. Er kann somit seit dem 01.01.2009 keine Versicherungen oder sonstige Kapitalerträge mehr vermitteln.

Die „Auskunftsstelle über Versicherungs-Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in Deutschland e.V.“ (AVAD) dient dem Ziel, dass nur vertrauenswürdige Personen im Versicherungsaußendienst (Vertreter und Makler) tätig sind. Die AVAD vermittelt als Selbsthilfeeinrichtung der Assekuranz nur Auskünfte an Unternehmen, die etwa dem GDV oder seinen Fachverbänden angehören und am AVAD-Verfahren teilnehmen. Die Unternehmen sind verpflichtet, vor Vertragsabschluss mit einem Bewerber für die hauptberufliche Tätigkeit im Versicherungsaußendienst auf gesondertem Formular Auskunft bei der AVAD einzuholen. Bei mehrstufigen Vermittlungsverhältnissen gilt dies auch für Untervertreter. Satzungsgemäß hat sich die AVAD ausdrücklich zu einem Auskunftsverfahren nach den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes verpflichtet (Quelle: www.gdv.de)

Die Kläger haben die erstinstanzliche Entscheidung der Höhe nach nicht angegriffen, soweit das Amtsgericht dem Beklagten ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1496,- € zugerechnet hat.

Nach der neueren Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2005, 706) sind die mit der Ausübung des Umgangsrechts verbundenen Kosten unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen, wenn und soweit sie nicht anderweitig, insbesondere nicht aus dem anteiligen Kindergeld, bestritten werden können. Dies folgt daraus, dass das Unterhaltsrecht dem Unterhaltspflichtigen nicht die Möglichkeit nehmen darf, sein Umgangsrecht zur Erhaltung der Eltern-Kind-Beziehung auszuüben.

Nach der durch die Unterhaltsreform 2007 geänderten Systematik ist auch auf den Mindestunterhalt regelmäßig das hälftige Kindergeld anzurechnen. Damit wird das Kindergeld zwar – vordergründig – abweichend von § 1612 b Abs. 5 BGB a. F. beim zu zahlenden Unterhalt berücksichtigt. Die Anrechnung nach § 1612 b Abs. 1 BGB n. F. erfolgt allerdings bedarfsdeckend. Das hat zur Folge, dass die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht mehr aufgrund der ungekürzten Tabellenbeträge festzustellen ist, sondern an Hand der Zahlbeträge. Während dem Unterhaltspflichtigen nach der alten Fassung noch über den Selbstbehalt hinaus das hälftige Kindergeld verblieb, bleibt das Kindergeld nunmehr unberücksichtigt (Wendl/Staudigl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 7. Auflage, § 2, Rdnr. 169).

Die Angemessenheit der Kosten ist nach dem Wohl des Kindes, seinen eigenen Umgangsbelangen und denen des Unterhaltspflichtigen zu bestimmen (BGH, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall stehen dem Beklagten außer seinem Einkommen keine Mittel zur Verfügung, aus denen er die Kosten des Umgangsrechts bestreiten könnte, insbesondere kein Kindergeld. Er muss bei seinen monatlichen Besuchskontakten, wie er im Einzelnen dargelegt hat, jeweils 340 Kilometer einfache Entfernung mit dem Pkw fahren, nachdem die Kindesmutter zusammen mit den Kindern vom vormaligen Wohnort der Familie weggezogen ist. Eine Einschränkung der Besuchskontakte ist dem Beklagten angesichts der Bedeutung des unter dem Schutz des Art. 6 II S. 1 GG stehenden Rechts auf Umgang (BVerfG, FamRZ 2002, 809) nicht zumutbar; sie würde auch dem Wohl der Kinder zuwiderlaufen (OLG Bremen, Beschluss vom 23.10.2007, Az. 4 WF 155/07; Quelle: www.juris.de).

Der Höhe nach belaufen sich die von den Klägern nicht substantiiert bestrittenen monatlichen Fahrtkosten des Antragsgegners anlässlich der Besuchskontakte bei Zugrundelegung eines Kilometersatzes von 0,30 € (vgl. dazu Nr. 10.2.2 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Jena, Stand 01.01.2008) auf 204,- €. Nach Ansicht des Senats sind die Fahrtkosten auch berücksichtigungsfähig. Der notwendige Selbstbehalt ist so bemessen, dass daraus Reserven, aus denen Kosten der vorliegenden Art noch getragen werden könnten, nicht zur Verfügung stehen, zumal aus ihm auch die Ausgaben, die während der Ausübung des Umgangs neben den Fahrtkosten anfallen, bestritten werden müssen. Würde man dem Beklagten ansinnen, einen Teil der Fahrtkosten aus seinem notwendigen Selbstbehalt zu bestreiten, könnte ihn dies möglicherweise zwingen, die Umgangskontakte einzuschränken – eine Folge, die auch nicht im Interesse der Kläger läge (OLG Bremen, a.a.O.).

Bei Inanspruchnahme eines Pkw entstehen bereits Fahrtkosten in Höhe von (340 km x 2 x 0,30 € =) 204,- /Monat, wenn man angesichts der schwankenden Kilometerangaben des Beklagten den niedrigsten Wert zugrunde legt. Jedoch muss der Umgangsberechtigte alle Möglichkeiten nutzen, um diese Kosten so niedrig wie möglich zu halten. So ist er ggfs. auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verweisen. Der Senat schätzt die Kosten der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unter Inanspruchnahme der Bahn-Card auf 100,- € pro Hin- und Rückfahrt. Addiert man hierzu die Kosten zweier Hotelübernachtungen, so ergibt sich ein Betrag in Höhe von (2 x 50,- €=) 100,- € und insgesamt ein Betrag in Höhe von 200,- €. Allerdings kann man den Beklagten nicht ohne weiters auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verweisen, da er das Fahrzeug vor Ort benötigt, um mit den Kindern etwas zu unternehmen.

Im Ergebnis ist die Berechnung des Amtsgerichts, einen Betrag in Höhe von 200,- € in Abzug zu bringen, nicht zu beanstanden.

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, der entschieden hat [Urteil vom 17.03.2010, AZ. XII ZR 204/08, Quelle: NSW BGB § 1570 (BGH-intern)], dass eine Herabsetzung des dem Unterhaltspflichtigen zu belassenden Selbstbehalts in Betracht kommt, wenn der Unterhaltspflichtige in einer neuen Lebensgemeinschaft wohnt, dadurch Kosten für Wohnung oder die allgemeine Lebensführung spart und sich deswegen auch sozialhilferechtlich auf einen – im Rahmen seiner Bedarfsgemeinschaft – geringeren Bedarf verweisen lassen müsste. Das gilt auch dann, wenn der Unterhaltspflichtige nicht neu verheiratet ist und deswegen auch keine Ansprüche auf Familienunterhalt oder sonstige Versorgungsleistungen bestehen. Die Herabsetzung des ihm zu belassenden notwendigen Selbstbehalts beruht dann auf der Ersparnis durch die gemeinsame Haushaltsführung, die regelmäßig zu einer Kostenersparnis und zu Synergieeffekten führt, die jeden Lebenspartner hälftig entlasten (BGH, FamRZ 2008, 594 m.w.N.).

Soweit der Beklagte einen solchen Synergieeffekt durch das Zusammenleben mit seiner neuen Lebensgefährtin unter Hinweis auf deren Leistungsunfähigkeit bestreitet, obliegt ihm dafür die volle Darlegungs- und Beweislast. Weil er diesen Vortrag nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt hat, ist ein entsprechender Synergieeffekt zu berücksichtigen, den der Senat im vorliegenden Fall mit (12,5 % seines Selbstbehalts in Höhe von 900,- € =) 112,50 € bemisst (vgl. OLG Brandenburg, ZInsO 2009, 2019). Der Selbstbehalt des Beklagten reduziert sich auf (900,- € – 112,50 € =) 787,50 €; bei einem einzusetzenden Einkommen in Höhe von 1496,73 € verbleibt eine Leistungsfähigkeit des Beklagten in Höhe von (1496,73 € – 200,- € – 787,50 € =) 509,23 € pro Monat, aufgerundet 510,- €.

Zu der Behauptung des Beklagten, er habe sich im Januar 2010 von seiner Lebensgefährtin getrennt, wofür der Beklagte Beweis angeboten hat, haben die Kläger bisher nicht Stellung genommen. Für den Fall des Bestreitens bleibt die Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Es ergibt sich folgende Unterhaltsberechnung, wobei der Senat die Höhe des Kindergeldes wie folgt berücksichtigt hat:

1. Kind 2. Kind 3. Kind jedes weitere Kind
2008 154,00 EUR 154,00 EUR 154,00 EUR 179,00 EUR
2009 164,00 EUR 164,00 EUR 170,00 EUR 195,00 EUR
2010 184,00 EUR 184,00 EUR 190,00 EUR 215,00 EUR

a) ab Juni 2008:

Unterhaltsanspruch Im Mangelfall
B., III. Altersstufe (365 – 77 =) 288,- € 152,- €
R., II. Altersstufe (322 – 77 =) 245,- € 129,- €
F., II. Altersstufe (322 – 77 =) 245,- € 129,- €
E., I. Altersstufe (279 – 89,50 =) 190,- € 100,- €
Summe: 968,- €
Verteilungsmasse: 510,- €

b) ab Januar 2009:

Unterhaltsanspruch Im Mangelfall
B., III. Altersstufe (377 – 82 =) 295,- € 149,- €
R., III. Altersstufe (377 – 82 =) 295,- € 149,- €
F., II. Altersstufe (322 – 85 =) 237,- € 120,- €
E., I. Altersstufe (281 – 97,50 =) 184,- € 93,- €
Summe: 1011,- €

c) ab Juli 2009:

Unterhaltsanspruch im Mangelfall
B., III. Altersstufe (377 – 82 =) 295,- € 143,- €
R., III. Altersstufe (377 – 82 =) 295,- € 143,- €
F., II. Altersstufe (322 – 85 =) 237,- € 115,- €
Emilie, II. Altersstufe (322 – 97,50 =) 225,- € 110,- €
Summe: 1052,- €

d) ab Januar 2010:

Unterhaltsanspruch im Mangelfall
B., III. Altersstufe (377 – 92 =) 285,- € 143,- €
Robert, III. Altersstufe (377 – 92 =) 285,- € 143,- €
Franziska, II. Altersstufe (322 – 95 =) 227,- € 115,- €
E., II. Altersstufe (322 – 107,50 =) 215,- € 109,- €
Summe: 1012,- €

Der Beklagte hat ab Dezember 2008 288,- /Monat gezahlt. Der Senat verrechnet die Zahlung wie folgt:

12/08 1/09 7/09 1/10
B. 86,- € 84,- € 81,- € 81,- €
R. 73,- € 84,- € 81,- € 81,- €
F. 73,- € 68,- € 65,- € 65,- €
E. 56,- € 52,- € 61,- € 61,- €
Summe; 288,- € 288,- € 288,- € 288,- e

Der Senat geht davon aus, dass F. und E. in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung Unterhaltsvorschuss in einer Höhe erhalten haben, die die oben errechneten Unterhaltsbeträge übersteigt, so dass entsprechend der Antragstellung Zahlung an den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Unterhaltsvorschusskasse des Landratsamtes des S.Kreises zu leisten ist.

Soweit das Amtsgericht den Klägern zu 3) und 4) Unterhalt ab dem 01.04.2009 und nicht – wie beantragt – ab Rechtshängigkeit (05.05.2009) zugesprochen hat, ist zu berücksichtigen, dass lediglich die Kläger beabsichtigen, das Urteil I. Instanz mit der Klage anzugreifen.

OLG Jena (Thüringen), Beschluss vom 25.05.2010
1 UF 19/10

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