OLG Thüringen: Verwirkung titulierter Kindesunterhaltsansprüche

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 17.02.2009 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Sondershausen vom 14.01.2009 abgeändert:

Dem Kläger wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …….….. in ……….. für folgenden Antrag bewilligt:

Die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 1. und 2. aus dem Teil-Anerkenntnisurteil des Amtsgerichtes Artern vom 28.03.2002, Az. 5 FH 232/01, wird für unzulässig erklärt, soweit Unterhaltsrückstände gegen den Kläger für die Zeit vom 01.01.2002 bis 30.09.2006 geltend gemacht werden.
Gründe

I.

Der Kläger ist der Vater der am ………….. geborenen Beklagten zu 1. und der am …………. geborenen Beklagten zu 2. Diese erwirkten unter dem 28.03.2002 bei dem Amtsgericht Artern (Az.: 5 F 232/01) gegen ihn ein Teilanerkenntnisurteil auf laufenden und rückständigen Kindesunterhalt. Zahlungen hierauf leistete der Kläger nicht.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 01.10.2007 forderten die Beklagten den Kläger erstmals auf, die Unterhaltsrückstände zu begleichen.

Beide Beklagten sind der Auffassung, sie könnten nach wie vor wegen Rückständen vor dem 01.10.2007 auch für den Zeitraum vom 01.01.2002 bis 23.12.2007 aus dem Teil-Anerkenntnisurteil vollstrecken.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für seine Vollstreckungsgegenklage, mit der er die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Teil-Anerkenntnisurteil, soweit sie die Zeit vor dem 01.03.2007 betrifft, geltend macht.

Er ist der Auffassung, die vor diesem Zeitraum liegenden Unterhaltsansprüche seien verwirkt, weil die Beklagten zu 1. und 2. den titulierten Unterhalt über Jahre nicht geltend gemacht hätten.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, ein Verwirkungstatbestand sei nicht gegeben. Die Zwangsvollstreckung sei nicht betrieben worden, weil sie nach den Einkommensverhältnissen des Klägers keinen Erfolg versprochen, sondern nur Kosten verursacht hätte.

Das Amtsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurückgewiesen. Es hat zur Begründung – unter Bezugnahme auf den Vortrag der Beklagten – ausgeführt, die „einschlägig bekannte Rechtsprechung“ des Thüringer Oberlandesgerichts beziehe sich im Wesentlichen auf nicht titulierte Unterhaltsrückstände. Titulierten Forderungen könne nur ausnahmsweise der Verwirkungseinwand entgegengehalten werden. Zu einem Zeitmoment, welches im vorliegenden Fall „überhaupt nicht“ erreicht sei, müsse ein entsprechendes Umstandmoment kommen.

Hiergegen wehrt sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

Die Antragsgegnerinnen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie verteidigen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, da die Vollstreckungsgegenklage ohne Erfolgsaussicht sei.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 127 II 2 ZPO zulässig und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch Erfolg.

Ansprüche der Antragsgegnerinnen auf rückständigen Unterhalt sind, soweit sie den Zeitraum vor dem 01.10.2006 betreffen, wegen langjähriger Nichtgeltendmachung verwirkt, § 242 BGB.

Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment; BGHZ 146, 217, 220). Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (BGH FamRZ 2002, 1698).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes seit 16.06.1982 (FamRZ 1982, 898, zuletzt FamRZ 2007, 543), der die Familiensenate des Thüringer Oberlandesgerichts folgen (vgl. 1. FamS NJW-RR 2002, 1154 ff. und Beschluss des 2. FamS vom 24.09.2008, 2 WF 350/08), unterliegen auch rückständige Unterhaltsforderungen der Verwirkung.

Rückständiger Unterhalt kann grundsätzlich der Verwirkung unterliegen, wenn sich seine Geltendmachung unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung als unzulässig darstellt (vgl. BGHZ 84, 280, 282 und allgemein Stöckle in Brühl, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., Rdn. 1444, 1452, 1463 ff. und 1475). Dieser bislang für nicht titulierte Ansprüche aufgestellte Grundsatz erfährt auch für titulierte Ansprüche – deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels eher näher liegen dürfte als bei nicht titulierten Forderungen – keine Einschränkung (vgl. BGH FamRZ 1999, 1422; KG in FamRZ 1994, 771; OLG Karlsruhe in FamRZ 1993, 1456, 1457).

Der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt ist (§ 204 S. 2 BGB), steht der Annahme einer Verwirkung der Ansprüche während der Dauer der Minderjährigkeit dann nicht entgegen, wenn aus besonderen Gründen die Voraussetzungen sowohl des Zeit- als auch des Umstandsmoments für die Bejahung der Verwirkung erfüllt sind (vgl. BGHZ 103, 62, 68 m. Hinw. auf OLG München in FamRZ 1986, 504, 505 zu § 204 Satz 2 BGB).

Die Verwirkung erfordert das Vorliegen sowohl des Zeit- als auch des Um-standsmomentes.

Das Umstandsmoment ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (FamRZ 2002, 1699) erfüllt, wenn zum Zeitmoment besondere Umstände hin-zutreten, aufgrund derer der Unterhaltsverpflichtete sich nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Allerdings sind die Anforderungen an das Umstandsmoment auch nicht zu überspannen, weil ein Unterhaltsschuldner erfahrungsgemäß seine Lebensführung nach den ihm zur Verfügung stehenden Einkünften anzupassen pflegt.

Das Umstandsmoment erfordert besondere Umstände, auf Grund derer sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten kann, dass der Berechtigte sein Recht nicht mehr geltend macht (BGH FamRZ 1988, 370, 372). Sieht ein Unterhaltsgläubiger von der zeitnahen Durchsetzung seiner Ansprüche ab, erweckt sein Verhalten regelmäßig den Eindruck, er sei in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig. Diese Grundsätze gelten auch, soweit es rechtshängige oder – wie es hier der Fall ist – titulierte Forderungen betrifft. Es gibt keinen Rechtssatz dahin, dass solche Forderungen nicht der Verwirkung unterliegen (OLG Jena, a.a.O; OLG Schleswig NJWE-FER 2000, 27; i. E. auch OLG Düsseldorf NJWE-FER 2001, 69, 70). Gerade in Fällen titulierter Forderungen kann auf Grund des Absehens des Gläubigers von der zeitnahen Durchsetzung seiner Ansprüche nach Treu und Glauben der Eindruck der Nichtgeltendmachung erweckt werden, da die Durchsetzung titulierter Forderungen jedenfalls in der Regel näher liegt als bei nicht titulierten Forderungen (BGH NJWE-FER 1999, 269; Brandenburgisches OLG, JAmt 2001, 376, 377; OLG Frankfurt, FamRZ 1999, 1163; a. A. OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 859).

Ob sich der Kläger darauf einstellen durfte, dass die Beklagten ihre Unter-haltsansprüche für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr geltend machen wird, ist eng mit der Frage des Zeitmoments verknüpft, das maßgeblich vom Verhalten der Beklagten beeinflusst wird. Auch dies ist vorliegend entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und der Beklagten erfüllt.

Dabei dürfen bei Unterhaltsansprüchen an das Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen gestellt werden. Von einem Unterhaltsgläubiger muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Anderenfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Diese Erwägungen treffen auch auf titulierte Unterhaltsansprüche zu, die, wie im vorliegenden Fall, erst nach ihrer Titulierung fällig geworden sind. Entscheidend ist der Schuldnerschutz. Der Schuldnerschutz verdient es somit auch im Falle der Titulierung künftig fällig werdender Unterhaltsforderungen besonders beachtet zu werden, weshalb auch in diesen Fällen das Zeitmoment bereits nach dem Verstreichenlassen einer Frist von etwas mehr als einem Jahr als erfüllt anzusehen sein kann (BGH FamRZ 2004, 531).

Soweit das Amtsgericht die Auffassung vertreten hat, das Zeitmoment sei vorliegend „überhaupt nicht erreicht“, ist diese Rechtsansicht unter Berücksichtigung der zu dieser Frage ergangenen einhelligen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht nachvollziehbar, die für die Erfüllung des Zeitmoments das Verstreichenlassen einer Frist von etwas mehr als einem Jahr ausreichen lässt (BGH, FamRZ 2002, 1699; 2004, 532) und vorliegend zwischen dem Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 01.10.2007 und der Erwirkung des Teil-Anerkenntnisurteils im Februar 2002 mehr als fünf Jahre liegen.

Abgesehen davon, dass der Bundesgerichtshof im Hinblick auf den Schuld-nerschutz in seinem Urteil vom 22.11.2006 (FamRZ 2007, 543 ff.) entschieden hat, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch schon dann erfüllt sein kann, sobald die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die ein Jahr oder länger zurückliegen, hat er bereits in seinem Urteil vom 23.10.2002 (FamRZ 2002, 1699 vgl. unter 1. bb.) ausgeführt, dass aus einem erstmaligen, erneuten Tätigwerden des Klägers mit Schreiben vom 02.04.1997 folgt, dass die Geltendmachung der bis zum 31.03.1996 fälligen Ansprüche eine illoyal verspätete Rechtsausübung darstellt. Mithin hat der Bundesgerichtshof ohne Weiteres die mehr als ein Jahr fälligen Ansprüche als verwirkt behandelt.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Familiensenate des Thüringer Oberlandesgerichts (vgl. Urteil vom 23.05.2002, a.a.O.) und anderer Oberlandesgerichte (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1989, 776 ff.; OLG Frankfurt, FamRZ 1999, 1163 ff., dort allerdings jeweils nach längerer Zeit der Untätigkeit des Gläubigers). Jedenfalls muss von einem Gläubiger, der dringend auf den Unterhalt angewiesen ist, erwartet werden, dass er sich zeitnah um dessen Durchsetzung bemüht. Da die Beklagten nicht vorgetragen haben, dass sie dem Kläger in irgendeiner Weise deutlich gemacht haben, dass sie weiterhin auf der Erfüllung ihrer titulierten Ansprüche bestehen und auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, aus denen sich dies ergeben könnte, sind jedenfalls die im Zeitpunkt der Aufforderung vom 01.10.2007 zur Begleichung des Unterhaltsrückstandes länger als ein Jahr fälligen Unterhaltsansprüche, also die für den Zeitraum vor dem 01.10.2006, bereits vor Eintritt der Volljährigkeit verwirkt gewesen.

Die Beklagten betreiben seit Februar 2009 die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der rückständigen Unterhaltsbeträge. Für die vor dem Monat Februar liegenden 12 Monate, d. h. für die Zeit von Februar 2008 bis einschließlich Januar 2009, kommt daher nach den vorangestellten Grundsätzen auf keinen Fall eine Verwirkung in Betracht.

Auch soweit der Kläger auf die titulierte Forderung im Jahr 2007 teilweise Unterhalt geleistet hat, kommt seiner Vollstreckungsgegenklage nach derzeitigem Stand keine Aussicht auf Erfolg zu. Zwar ist insoweit an sich Erfüllung gemäß § 362 BGB eingetreten, da es nach derzeitigem Stand unstreitig ist, dass der Beklagte in dem vorgenannten Zeitraum zumindest teilweise Leistungen von gesamt 700,00 EUR erbracht hat. Der genaue Umfang seiner erbrachten Leistungen ist jedoch streitig, da der Kläger zwar behauptet hat, 1.060,00 EUR gezahlt zu haben, die Beklagten dies jedoch bestritten und der Kläger seine Behauptung nicht belegt hat.

Vorliegend haben die Beklagten nach der Erwirkung des Titels über mehrere Jahre nach eigenem Vortrag keine Vollstreckungsversuche unternommen. Als Grund hierfür haben die Beklagten angegeben, dass Vollstreckungsversuche angesichts des Einkommens des Klägers keinen Erfolg versprochen hätten. Keine der Beklagten behauptet, dass eine frühzeitigere Geltendmachung nicht möglich gewesen wäre, insbesondere dass der Kläger unbekannten Aufenthalts gewesen wäre.

Erst Anfang Oktober 2007 forderten die Beklagten überhaupt wieder zur Zahlung von Barunterhalt auf. Erst im Rahmen des Ende 2007 eingeleiteten vorliegenden Verfahrens haben sie durch den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zum Ausdruck gebracht, die für sie titulierten Unterhaltsrückstände nach wie vor beanspruchen zu wollen.

Nach alledem war der Beschluss des Amtsgerichts wie geschehen abzuändern.

OLG Thüringen (Jena), Beschluss vom 01.04.2010
2 WF 85/09

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